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Plaza-Cercle-Club, 24. April 1991, WIENER STADTHALLE

EXPO '95
ARCHITEKTUR, KUNSTHANDWERK,DESIGN

Dr. Gerhard Feltl
Mitglied des Vorstandes der EXPO-VIENNA AG

"Expo '95: Architektur, Kunsthandwerk, Design" – diesen thematischen Dreiklang möchte ich in diesem Referat etwas näher erläutern. Der Grundton, auf der aufbaut, ist die Kreativität, ist die Kunst. Auch deshalb lautet die Sub-Line zum Thema der Weltausstellung "Ein Fest der Kreativität". 

Doch zunächst will ich über Ideen und Ziele, über das Projekt und den Stand seiner Verwirklichung referieren:

Das übergeordnete und internationale Ziel der Expo '95 ist es, ein Großereignis auszurichten, das den gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts Rechnung trägt. Und das zum attraktiven, unvergeßlichen Erlebnis für seine Besucher wird. 

Im Zeitalter der elektronischen Medien, in dem schon jedes Kind meint, bereits alles im Fernsehen erlebt zu haben, wird die Weltausstellung verdeutlichen müssen, daß die "greifbare Wirklichkeit" noch immer anregender und spannender ist als jede medial vermittelte Wirklichkeit.

Die Weltausstellung ist aber nicht nur eine internationale Herausforderung für Österreich, sie ist vor allem auch eine Herausforderung für die Bundeshauptstadt Wien: Jede Stadt braucht Symbole, muß Zeichen setzen, um urbanes Selbstbewußtsein entwickeln zu können. Eines der Symbole, an denen sich die Städte und ihre nationalen und internationalen Partner orientieren können, sind Großereignisse wie Olympische Spiele, Weltmeisterschaften oder Weltausstellungen – die Teil einer positiven, in die Zukunft gerichteten städtischen Identität werden können. 

Um Ernest Dichter, den berühmten altösterreichischen Motivforscher zu zitieren: "Eine Weltausstellung hinterläßt eine Erbschaft für die Stadt, die sie beherbergt, und für ihre Besucher. Sie muß eine Identifikation mit dem Gebotenen zustande bringen. Jeder Besucher sollte das Gefühl haben, zumindest einen Tag lang in einem neuen Land zu leben und die Sorgen, die Wünsche und auch die Träume anderer Menschen mitzuerleben." 

Die Expo '95 soll Vision der Zukunft und Panorama des 21. Jahrhunderts sein. Und zwar nicht nur in der Vorstellung der Veranstalter, sondern vor allem der Aussteller – diese sollen sich und ihre Überlegungen zum Thema "Brücken in die Zukunft" präsentieren und das ausstellen, was unter diesem Thema verstehen. 

Wir schreiben nicht vor, setzen nicht fest. Wir wollen mit diesem Thema vielmehr stimulieren, Assoziationen auslösen, die Kreativität fördern: Die Weltausstellung 1995 soll ein "Fest der Kreativität" sein. 

Das Thema "Brücken in die Zukunft" umfaßt als Hauptaussage die Aufforderung an Gastgeber und Architekten, Aussteller und Sponsoren – Dinge und Ideen zu symbolisieren, sichtbar und erlebbar zu machen, die geeignet sind, einen gleichermaßen kühnen wie tragfähigen Übergang von der Gegenwart in die Zukunft zu bilden. 

Dabei ist an alle Bereiche des menschlichen Lebens gedacht, besonders aber an jene, wo es um Fragen der Zukunftsbewältigung geht. 

"Brücke" bedeutet in diesem Zusammenhang die konstruktive Überwindung von Gegensätzen. Die Verbindung zu einem neuen, besseren Ganzen. 

Grundsätzlich geht es also darum, die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir durch die Überwindung bestehender Gegensätze die Herausforderung der Zukunft meistern können; das ist das dynamische Hauptelement des Themas "Brücken in die Zukunft". 

Natürlich muß die Expo '95 aber auch Leistungsschau der Leistungsgesellschaft sein. Manifestation der Zuversicht und des Glaubens an die Zukunft.  

Das führt zu der Frage: Wo stehen wir in der Projektvorbereitung? Was sind die wichtigsten Vorhaben bis Jahresende 1991? 

Ein wichtiger Schritt zur Gestaltung und Visualisierung – und damit für den Erfolg einer Weltausstellung – ist das Logo: Wir haben einen Wettbewerb für ein gemeinsames Logo für Wien und Budapest ausgeschrieben. Als Jury konnten wir prominente Graphiker und Designer gewinnen, darunter Alan Peckolick und Ivan Chermayeff aus New York oder Michael Wolff aus London. 

Ende Dezember 1990 kam es zur Logo-Entscheidung; wir haben uns einstimmig für die Arbeit von Alan Fletcher, Star-Designer aus London, entschieden. Das Expo-Logo ist übrigens für Österreich und Ungarn das erste gemeinsame Symbol seit mehr als 70 Jahren. 

Eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung für die Weltausstellung wurde bereits erzielt: ein durchwegs positives Meinungsklima. 

Und auch in Ungarn besteht breite Expo-Zustimmung: "Für" die Weltausstellung in Budapest sprachen sich diesen Jänner 74 % der Ungarn aus, nur 17 % sind "eher dagegen", und lediglich 5 % sind "sehr dagegen". 

Damit die Expo den in sie gesetzten Erwartungen gerecht werden kann, wird sie als ein höchst attraktives Kulturereignis konzipiert. Demgemäß ist ein wichtiger Schwerpunkt in unseren Expo-Vorbereitungsaktivitäten das Expo-Kulturkonzept, das demnächst der Öffentlichkeit präsentiert werden wird. Einige Detailinformationen zu diesem Konzept: 

-      Eine Typologie für das künstlerische Rahmenprogramm der Expo '95  wird erstellt, und Projektvorschläge für die "Sparten" Musik, Theater, bildende Kunst, Medienkunst und Unterhaltung werden erarbeitet.

-       Ein "Programm-Schema" für das Unterhaltungs- und Kulturprogramm liegt bereits vor.

-      Ein Projektteam erarbeitet in unserem Auftrag das Vorhaben "99 Jahre Film", das Ausstellungsgelände und Stadt miteinander verbinden und im Rahmen einer groß angelegten Film-Retrospektive präsentieren soll.

-       Sponsor-Möglichkeiten für Kulturprogramme werden entwickelt und Konzepte über Möglichkeiten von Koproduktionen mit Kulturinstitutionen der Stadt Wien und der Bundesländer ausgearbeitet.

-       Ein "Cultural Advisory Board" unter Vorsitz von Tom Messer, dem langjährigen Direktor des Guggenheim Museums in New York, wird eingerichtet.

-      Die Bedeutung der Weltausstellung als kulturelles Ereignis wird ein "Expo-Kultur-Manifest" unterstreichen. 

Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt ist die Ausarbeitung privatwirtschaftlicher Finanzierungskonzepte: Während die Infrastrukturkosten von der öffentlichen Hand getragen werden, ist der Betrieb der Weltausstellung zur Gänze, sind Gebäude und Anlagen auf dem Weltausstellungs-Areal soweit wie möglich privatwirtschaftlich zu finanzieren. 

Zu den Erfolgen der EXPO-VIENNA AG zählt auch der Internationale Architekturwettbewerb, den ich etwas ausführlicher behandeln möchte. 

Ob Wien an der Donau liegt oder nicht, das ist ein unauflösliches Thema der Stadtmythologie. Obwohl bei der Übertragung des jährlichen Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker weltweit der "Donauwalzer" erklingt, hat die Wiener Stadtgeschichte ein spannungsgeladenes Verhältnis zu jenem Strom, der Budapest mit einer eindrucksvollen Stadtsilhouette beschenkt. 

Wien hingegen kehrt der Donau "den Rücken" zu. War doch bis zur ersten Regulierung des Flusses vor 120 Jahren die Donau eingebettet in eine wilde Aulandschaft mit weitverzweigten Armen, von denen nur einer (der "Donaukanal" genannte Seitenarm) das Zentrum der Stadt tangierte. Insofern liegt Wien natürlich an der "Donau" – es ist jedoch bezeichnend, daß sie vom kollektiven Gedächtnis an dieser Stelle nur als "Kanal" bezeichnet wird. 

Die Wiener Donaulandschaft war eine gefährlich breite Grenze zum Norden, Überschwemmungen drohten mit beständiger Unpassierbarkeit. Anläßlich der Wiener Weltausstellung 1873 fand dann die große Regulierung statt, die Donau bekam ein neues, ingenieurtechnisch begrenztes Bett. Die Auwälder wurden trockengelegt, es entstanden die gründerzeitlichen Quartiere des 2. und 20. Bezirks. 

Im Jahr 1995 findet in Wien wiederum eine Weltausstellung statt. Es ist eine Denkwürdigkeit der Geschichte, daß dabei erneut die Donau im Zentrum der städtebaulichen Überlegungen dieser Stadt steht. 

Das Gelände der Expo '95 wird sich am linken Donauufer (vor den Gebäuden der UNO, knapp neben der wichtigsten Wiener Donaubrücke – der Reichsbrücke) erstrecken. 

Die nahegelegene Donauinsel ist im Laufe der vergangenen Jahre zum wichtigsten und größten Sommerfreizeitgebiet der Wiener geworden. 

Vor allem durch diese hohe Bevölkerungsakzeptanz wurde Politikern und Stadtplanern bewußt, wie "unterentwickelt" der Bereich rund um die UNO-City ist. Im Zeichen des Wachstums dieser Stadt wird so ein "vergessener Ort" neu entdeckt und eine "zweite City", ein zweiter Stadtschwerpunkt geschaffen werden. 

Denn es ist erklärtes Ziel der Wiener Stadtentwicklung, nach der Weltausstellung ein neues urbanes Zentrum zu schaffen – mit Büros, Wohnungen, Freizeiteinrichtungen und Kultur. Damit rückt ein alter Traum in greifbare Nähe: die Entwicklung der Stadt jenseits der Donau. 

Das war die Grundlage des Architektenwettbewerbs für die Weltausstellung in Wien 1995: das Fest mit dem städtischen Alltag zu verbinden und beides mit einem Entwurf zu gewährleisten. 

Auf der einen Seite hatten wir als Auslober des Wettbewerbs ein erklärtes Interesse an einem optimalen Masterplan für eine temporäre, attraktive Veranstaltung sowie Interesse an einem architektonisch signifikanten Zeichen für die Veranstaltung selbst. 

Gleichzeitig waren wir uns bewußt, daß das Expo-Gelände nicht nur Fest-Areal für einen Sommer ist, sondern die städtebauliche Folie zu legen hat für die Entwicklung eines funktionierenden neuen Wiener Stadtteils in der Zeit nach der Weltausstellung. 

Mit städtebaulichen Gutachten (von Hollein & Coop Himmelblau, Gustav Peichl, Hugo Potyka, Albert Wimmer) wurde schon vor dem Wettbewerb dieses Aufgabenstellung erörtert. Sie dienten der Stadt bei der Festlegung der Rahmenbedingungen eines "Leitprogramms für den donaunahen Entwicklungsraum". 

Der Wettbewerb selbst sollte eingedenk der zukunftsweisenden Aufgabe gleichermaßen Architekten und Absolventen (junge Architekten, die noch keine Berufsbefugnis haben) in Österreich und Ungarn offenstehen. Darüber hinaus wurde eine Gruppe von international renommierten Architekten zugeladen. Der Architekturwettbewerb lief vom 28. Mai 1990 bis Ende Oktober 1990. Insgesamt wurden 84 Projekte eingereicht. 

Darüber hat die internationale Jury in der Zeit vom 9. bis zum 12. Jänner 1991 beraten und entschieden. Ihr gehörten unter anderem  Joan Busquets (Barcelona), Vittorio Gregotti (Mailand), Bernard Huet (Paris), Arata Isozaki (Tokio), Vittorio Managnago-Lampugnani (Mailand/Frankfurt), Martin Steinmann (Lausanne), Ottokar Uhl (Karlsruhe, Vorsitzender), Uli Zech (München), Akos Moravánszky (Budapest/Santa Monica) an. 

Zum Preisträger des Wettbewerbs hat die Jury das Projekt des Wiener Architekten Sepp Frank gewählt – ein Projekt, das seine Stärke in der elementaren typologischen Ordnung des Gebietes zeigt. 

Die städtebaulichen Grundsätze dieses Projekts beruhen auf einer dichten Urbanisierung mit solitären Bauwerken rund um die UNO-City und das Konferenzzentrum, die auch für die spätere Nutzung gedacht werden können. Eine klare Linie mit einem langgestreckten, parallel zur Donau verlaufenden Baukörper trennt dieses Gebiet vom eigentlichen Zentrum des Ausstellungsgeländes zur Donau hin. Dieses Ausstellungsgelände wird von einem großen Dach, geformt wie eine "Donauwelle", geprägt. 

Diese "Welle" als einprägsames Mega-Zeichen der Weltausstellung hat symbolische wie pragmatische Vorteile: Es schützt vor Wind und Regen; es ermöglicht ein weitgehend kontrollierbares Kleinklima und bildet einen "künstlichen Himmel" über den relativ heterogenen kleinen und größeren Pavillons der künftigen Aussteller. Entscheidend aber wird seine endgültige architektonische und statische Gestaltung sein. Hier besteht die Chance, nach den technisch-statischen Entwicklungen eines Buckminster Fuller oder Otto Frei eine technologisch avancierte Form zu finden, die für großflächige Überdachungen einer zukünftigen "Freizeitwelt" exemplarisch ist. 

Im Sinne der Jury-Entscheidung wird der 1. Preisträger – Architekt Frank – von der EXPO-VIENNA AG mit der Erstellung des Masterplans für die Expo '95 beauftragt werden; demgegenüber wird seitens der Stadt Wien der 2. Preisträger – nämlich Prof. Hollein und Coop Himmelblau – mit der Erstellung eines Masterplans für die städtebauliche Entwicklung, für Baumassenverteilung und Hochhausentwicklung im Zuge der Nachnutzung (nach der Weltausstellung) beauftragt werden. 

Wettbewerbe dieser Größenordnung und mit derartiger Auswirkung auf die Struktur einer Metropole wie Wien haben paradigmatischen Charakter. Sie zeigen auch den Stand der städtebaulichen Kultur. Diese hat ihre Bandbreite in den avancierten Projekten dieses Wettbewerbs manifestiert – neue Megalomanien waren ebenso zu finden wie extrem individualistische "Signaturen". 

Auf keines dieser besonders spektakulären Projekte des Wettbewerbs konnte sich die Jury einigen: Nicht auf das Projekt von Jean Nouvel, der die ironische Vollendung eines hegemonialen Anspruchs der Telekommunikation mit einer einzigen riesigen Medienwand zitierte, und auch nicht auf das Gegenteil, auf Hans Kollhoffs Manhattan-Apotheose mit monumentalen Skyscrapern. 

Gefunden wurde eine Lösung, deren Normalität und Gelassenheit zugleich auch die offenste Form für die zukünftige Entwicklung bietet. Sie erlaubt, daß sich partikulare architektonische Elemente vor ihr abheben, unter dem Mantel einer grundsätzlich städtebaulichen Ordnung. 

Wahrscheinlich ist dies für die spezifische Wiener Situation die richtige Lösung, die optimale Grundlage. Derzeit werden am Bauplatz, am künftigen Expo-Gelände die Aushubarbeiten durchgeführt, in die Baugrube wachsen dann die Tiefgeschoße für Parken und Versorgung, darauf kommt die "städtische Hauptebene". Die Autobahn wird überdacht, die Ufer zum Wasser werden neu gestaltet, ein Netz aus Straßen und Plätzen festgelegt. Und darüber wird schließlich das neue Megazeichen, die "Donauwelle" schweben. 

Die Weltausstellung ermöglicht somit für Wien die Sanierung eines Niemandslandes, vom alten Zentrum mit der U-Bahn in nur wenigen Minuten erreichbar, mit einzigartigem Freizeitwert an der Donau dazu. 

Ein neues, ein anderes Wien wird an der Donau liegen. Die Grundlagen dafür sind jetzt erstmals festgelegt, die Voraussetzungen sind so günstig wie noch nie in der Geschichte dieser Stadt. 

*

 Die Weltausstellung ist ein äußerst komplexes Vorhaben, das man unter verschiedenen Aspekten betrachten kann – sie ist eine Planungsaufgabe, während ihrer sechsmonatigen Dauer eine große festliche Veranstaltung und anschließend ein wichtiger Beitrag zur städtebaulichen Entwicklung der Bundeshauptstadt Wien. IN diesem Sinne ist die Weltausstellung in den Augen der Planer kreatives Denkzeug; in den Augen der Organisatoren und Besucher ein attraktives Spielzeug und aus der Sicht der Nachnutzung ein professionelles Werkzeug.

Damit komme ich zum zweiten Teil meiner Ausführungen. Ich möchte dabei die Bezüge zwischen Design und Weltausstellung aufzeigen. 

Beim Durchblättern des Buches "Design: MAN-trans-FORMS" von Hans Hollein fand ich die hübsche Formulierung: Design ist Zugang zu einem Problem. So gesehen sind wir von der EXPO-VIENNA AG die Designer der Weltausstellung 1995. 

Aber ich will mich im Rahmen dieser Veranstaltung am traditionellen Design-Begriff orientieren – Design als "künstlerische Formgebung von industriell hergestellten Produkten". 

Lassen Sie mich ein historisches Beispiel dieser Interaktion zwischen Weltausstellung und Design erwähnen: die Weltausstellung 1929 in Barcelona. 

Zu sehen waren die Ergebnisse der Reformbewegung, die in den Jahren zuvor die Einheit von Kunst und Handwerk und dann von Kunst und Industrie gefordert hatte. In Barcelona steht – noch heute zu besichtigen – eine "Ikone" der modernen Architektur, nämlich der deutsche Ausstellungspavillon, entworfen vom Bauhaus-Mitglied Mies van der Rohe. Und in ihm befindet sich der international wohl bekannteste Gegenstand der Weltausstellung 1929 – sein (bezeichnenderweise nach dem Ausstellungsort benannter) "Barcelona-Sessel": ein Beispiel für erfolgreiches "Industrial Design"; ein Beispiel für erfolgreiche Produktplatzierung auf einer Weltausstellung. 

Meine These: Ohne Weltausstellung Barcelona hätte das moderne Industrial Design kaum je die notwendige Aufmerksamkeit finden können. 

Der Pionier des amerikanischen Industriedesigns, Raymond Loewy, hat den "American Way of Life" entscheidend beeinflußt. Der große Künstler und exzellente Geschäftsmann wußte die Weltausstellung 1939 in New York als Podium seiner Design-Präsentationskünste zu nutzen. Loewy, Schöpfer des Greyhound-Busses und der Lucky-Strike-Packung, verzauberte die Halle des Chrysler Motor Building auf der Weltausstellung in einen "Frozen Forest", der größtes Aufsehen erregte. 

Weltausstellungen haben immer wieder dazu beigetragen, daß die Barrieren zwischen Künstlern und Industrie-Ingenieuren überwunden werden konnten; daß Formgeber und ‚Techniker, in der Frühphase der Industrialisierung oft Antagonisten, nun zunehmend miteinander agierten. 

Die aktuellen Chancen des Designs auf Weltausstellungen lassen sich thesenhaft wie folgt beschreiben: 

-      Design-Produkte als Exponate:
Viele technisch ausgereifte Produkte können nur durch Design differenziert werden; gutes Design für ein Industrieprodukt bedeutet einen gewaltigen Konkurrenz-Vorteil;

-       Design kurbelt den Absatz an:
Es gibt viele Rasierapparate – aber nur einen von Braun; es gibt viele Teekessel – aber nur einen von Alessi; es gibt viele Uhren – aber nur eine Swatch.

-      Zum öffentlichkeitswirksamen Auftritt benötigt man ein Podium:
Weltausstellungen bieten noch immer den großen Rahmen für Produkteinführungen.

-       Design ist nicht nur geschmacksbildend, sondern bewußtseinsbildend.
Das Zusammenwirken von Architektur, Kleidung und Design bewirkt Lebensfreude.

-        Design auf einer Weltausstellung verschafft dem Veranstalterland eine neue künstlerische Identität.
Umgekehrt trägt Design in den nationalen Pavillons zur Imagebildung der jeweiligen Ausstellerländer bei.

-      Design auf Weltausstellungen hat auch für die Design-Fachwelt seine Bedeutung:
Weltausstellungen bieten Vergleichsmöglichkeiten und informieren damit über unterschiedliche Design-Richtungen.

-      Das vielleicht gewichtigste Argument für Design auf Weltausstellungen: Es entspricht dem allgemeinen Interesse, dem viel zitierten "Zeitgeist" und "Life Style". 

Ich komme damit zu der Frage, wie denn konkret die Zusammenarbeit zwischen Design und der Expo '95 gestaltet werden könnte: 

Das Motto, unter dem die Expo '95 in Wien und in Budapest steht, lautet "Brücken in die Zukunft". Ich behaupte, daß Design auf der Weltausstellung eine ganz entscheidende Interpretation des Weltausstellungs-Themas ist: 

Design als Brücke zwischen  

-          Kunst und Ökonomie

-          Innovation und Materie

-          Technik und Mythos

-          dem Nützlichen und dem Schönen. 

Die Expo '95 bietet dem österreichischen, dem mitteleuropäischen und dem internationalen Design besondere Herausforderungen. In 10 Thesen möchte ich unsere Absichten und Pläne zum Thema Design auf der Expo '95 darlegen: 

1.    Die Weltausstellung in Wien will Design-Objekt sein. Ohne "deprimierende Sterilität oder exhibitionistische Platitüden", wie Prof. Auböck das formulierte, soll die Sensibilität der Design integrierend und vereinigend wirken.

2.     Wir wollen im ganzen Expo-Bereich Design-Impulse geben – angefangen vom Logo über das Geschirr in den Restaurants bis zur "Möblierung" des Expo-Areals.

3.    Wir wollen (zusammen mit unserem ungarischen Partner) Design als Integrationsinstrument für beide Veranstaltungsorte einsetzen: Design als österreichisch-ungarisches Bindeglied.

4.    Dem internationalen, insbesondere dem mitteleuropäischen Design sollen optimale Präsentationsmöglichkeiten geboten werden.

5.    Wir werden die Aussteller-Staaten einladen, ihre Pavillons für große Design-Premieren zur Verfügung zu stellen.

6.     Wir werden den Wettbewerb durch die Verteilung eines "Design-Award" fördern.

7.    Wir wollen eine eigene "Design-Börse" einrichten. Sie soll als Vermittlungsstelle zwischen dem talentierten Design-Nachwuchs und industriellen Auftraggebern fungieren.

8.    Wir werden für die Expo '95 ein Design-Manual vorbereiten. Mit diesem wollen wir uns einerseits als EXPO-VIENNA AG für die Weltausstellung selbst Standards auferlegen; andererseits damit auch Sponsoren, Konzessionäre, Lizenznehmer zur Einhaltung bestimmter Design-Formen anhalten.

9.      Wir werden ein Design-Programm für die Expo '95 formulieren. Es soll die konkreten "Einsatzgebiete" beschreiben, insbesondere in Information und Kommunikation, Leitsystemen und Verkehrseinrichtungen, Architektur und Gestaltung sowie im Produktangebot.

10. Wir werden einen "Gestaltungsbeirat" mit der Beratung in allen Design-Fragen für die Expo '95 beauftragen.

*

 

Wenn das österreichische, das mitteleuropäische, das internationale Design die beschriebenen Möglichkeiten auf der Weltausstellung nutzt, dann werden sich daraus wichtige Impulse für Kunst und Industrie ergeben. 

Die Expo '95 wird die handwerkliche und industrielle Produktion stimulieren, die Auftragsbücher füllen und Nachfrage schaffen. Sie wird Herausforderung an das kreative Potential insbesondere unseres Landes sein, dabei Besonderes zu leisten. 

Die Weltausstellung wird aber auch Anlaß und Herausforderung sein, über den Stellenwert von Kunst, Industrie und damit auch Design in der Gesellschaft nachzudenken. Sie soll keine vordergründige High-Tech-Show sein. Wir planen die "andere", die "humanistische" Weltausstellung. Design paßt in dieses Konzept. 

Der bekannte Designer und Architekt Ettore Sottsass schrieb einmal: "Die Qualität guten Designs, einer guten Form zeigt sich nicht daran, ob es überdauert, sondern ob es den Veränderungen der Geschichte folgt." 

Die Expo '95 wird den Nachweis erbringen, daß Design auf die Veränderungen der Geschichte, die wir gerade miterleben, nicht nur positiv reagiert, sondern diese Entwicklung auch schöpferisch einsetzt und kreativ gestaltet. 

*

 Im dritten (und abschließenden) Teil meiner Überlegungen zur Weltausstellung 1995 möchte ich die Beziehung zwischen "Weltausstellung und Kunsthandwerk" ansprechen: 

Beide wollen unseren Alltag verschönern.

Beide wollen das Nützliche mit dem Schönen verbinden. 

Die Weltausstellungen waren schon immer Impulsgeber für das Kunsthandwerk. Das ursprünglich South Kensington und dann Victoria and Albert Museum in London genannte große Kunstgewerbemuseum geht auf die erste Weltausstellung des Jahres 1851 in London zurück. 

Auf dieser ersten Weltausstellung hatte in Kunsthandwerker und Designer mit seinem ausgestellten Produkt so großen Erfolg, daß er rasch vom kunsthandwerklichen Tischler zum Großunternehmer aufsteigen konnte: Michael Thonet. 

Ohne seine gediegene Ausbildung als Kunsthandwerker hätte er seine bahnbrechende Erfindung gar nicht machen können: die besondere Dämpfung und Verformung von Holz, wodurch Bugholzmöbel überhaupt erst herstellbar wurden. Bald wurden sein Thonet-Sessel (ein österreichisches Markenprodukt) in Europa und Übersee zum großartigen Markterfolg. 50 Millionen Stück wurden in unveränderter Form bis 1930 verkauft; vor allem die Kaffeehaus-Stühle wurden zum "Wiener Symbol" und zu einem Paradebeispiel für öffentliches Design. 

Auch der Erfolg der Firma Lobmeyr ist eng mit dem Weltausstellungsgedanken verbunden. Der Firmengründer Ludwig Lobmeyr war so sehr von der verkaufs- und imagefördernden Wirkung einer Weltausstellung überzeugt, daß er sogar sein Privatvermögen in die Präsentation auf der Wiener Weltausstellung 1873 investierte. 

Rudolf Eitelberger, Professor der Kunstgeschichte und Mitglied des Weltausstellungskomitees, war für die Wiener Weltausstellung ebenso wichtig wie für das Kunsthandwerk. Wegen des großen Erfolges des Kunsthandwerkes auf der Weltausstellung 1873 konnte er in der Folge seine Lieblingsidee verwirklichen: die Gründung des "Kunstgewerbemuseums", des heutigen "Museums für angewandte Kunst". 

Rudolf von Eitelberger ist aber nicht nur dieses Museum zu verdanken. Er war auch großer österreichischer Patriot, der die Chancen der Weltausstellung für Wien klar erkannte. Was er für die Weltausstellung 1873 formulierte, hat auch für die Expo '95 Gültigkeit: 

"Wir werden das große Werk der Weltausstellung so zu Ende führen, daß wir dem Ausland Achtung abnötigen und daß wir durch die auf der Weltausstellung gemachten Erfahrungen den Mut zu rechtzeitigen Reformen finden." 

Die Wiener Weltausstellung von 1873 war übrigens nicht nur Anlaß für öffentlichkeitswirksame Produkteinführungen. Sie brachte auch den Wendepunkt in der bis dato gültigen Weltausstellungs-Ideologie. Bis 1873 waren die Weltausstellungen reine technische Leistungsschauen. In Wien wurden erstmals auch Kunst und Kunsthandwerk miteinbezogen. 

Viele bedeutende Weltausstellungen hatten eminente stilbildende Wirkung: London 1851 stand unter dem Zeichen der Neogotik, die nur dank eines hochentwickelten Kunsthandwerks möglich war. Umgekehrt wurden die stilistischen Anregungen der Londoner Weltausstellung vom Kunsthandwerk intensiv aufgegriffen. 

Für Wien 1873 ist das gleiche Wechselspiel zwischen Weltausstellung und Kunsthandwerk – diesmal zwischen Neorenaissance und Orientalismus – zu beobachten. 

Mit besonderen Leistungen beeindruckte das Kunstgewerbe auf der Weltausstellung 1900 in Paris: Der Jugendstil feierte Triumphe und übte gerade auf die mitteleuropäischen Länder ungeheure Faszination aus. 

Nur drei Jahre später – 1903 – kam es zu dem für die österreichische Kunstgeschichte und Kunsthandwerks-Geschichte prägenden Ereignis: 

Koloman Moser und Josef Hoffmann gründeten die Wiener Werkstätte, um die Anregungen und Impulse, die von der Pariser Weltausstellung 1900 ausgingen, auch in Österreich umsetzen zu können. 

Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. 

Wir sind davon überzeugt, daß das Kunsthandwerk auch auf der Expo '95 eine bedeutende Rolle spielen kann – und auch spielen sollte. Denn auch das Kunsthandwerk ist eine der "Brücken in die Zukunft". 

-      Es schafft (im Verhältnis zur Industrie) überproportional viele Arbeitsplätze.

-      Es ist umweltfreundlich und energiesparend.

-      Es entspricht einer massiven Nachfrage – nämlich der Forderung nach Individualität, Substanz und hochwertigen Produkten. 

Um Interesse und Aufmerksamkeit nicht er im Jahre 1995, sondern bereits in der Vorbereitungszeit auf das Kunsthandwerk und seine Qualitäts-Standards zu lenken, wollen wir einen Expo-Kunsthandwerk-Preis vergeben.

Ich habe Ihnen nun geschildert, wie sich drei wesentliche Kulturbereiche, nämlich Architektur, Design und Kunsthandwerk einerseits auf die Weltausstellung auswirken und sich andererseits wechselseitig stimulieren werden; welche Bereicherung dies für die Kultur Wiens, Österreichs und Mitteleuropas sein wird. 

Wir verstehen Kultur nicht als verschämtes oder opulentes Dekor, sondern als Zielvorstellung. 

Ist Kultur im weitesten Sinne des Wortes das übergeordnete Ziel, dann wird der Wert des Ereignisses nicht nur am Aufwand zu messen sein, sondern auch an der inneren Substanz. Die ganzheitliche Sicht der Dinge erlaubt es, Errungenschaften des menschlichen Geistes im Sinne unserer Zeit zu bewerten und im Hinblick auf ihre Bedeutung für Gegenwart und Zukunft zu bemessen. 

Die Weltausstellung wird daher auch ihren eigenen Bedeutungswandel darzustellen haben. Längst geht es nicht mehr darum, mit echter oder gespielter Euphorie den Aufbruch der großen weiten Welt zu neuen Ufern zu illustrieren. Längst ist zur Präsentation technischer Errungenschaften auch die Frage nach dem Sinn gekommen: Es kann im Zeitalter der Kommunikation und Mobilität nicht wirklich faszinieren, die Welt am Ausstellungsort als Konzentrat zu bestaunen. Die Welt in der Vielfalt ihrer kulturellen Selbstdarstellung, in der kreativen Auseinandersetzung von Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Kunst ist hingegen ein Schauspiel. Ein Schauspiel, das fesselt, weil es sein Publikum miteinbezieht. 

So gerät die Weltausstellung zur Welteinstellung, geprägt von Analyse, Standortbestimmung und Zukunftsorientierung. 

So wird sie zur "anderen" Weltausstellung. 

Wer sie realisiert sehen möchte, dazu darf ich sie abschließend aufrufen, der sollte sein "Ja" im Rahmen der Volksbefragung zwischen 14. und 16. Mai 1991 kundtun. Ihr persönliches Votum stellt die Weltausstellung Wien Budapest 1995 sicher ist gleichzeitig ein Votum für die Kultur.

04/91 - Dr. Gerhard Feltl, Mitglied des Vorstandes der EXPO-VIENNA AG