Projekte > Expo '95 > Projekt-Philosophie

EXPO-VIENNA AG
EXPO-PROGRAMMBÜRO BUDAPEST

Inhalt
01.   Partner in Europa – Partner der Welt
02.   Wien, Budapest, der Donauraum 
03.   1995 – viele Anlässe für ein europäisches Fest 
04.   "Brücken in die Zukunft" – Brücken in Europa und Brücken in der Welt 
05.   Weltausstellung – Signale des Aufbruchs 
06.   EXPO '95 – eine Chance für den Föderalismus 
07.   Ökonomische Aspekte der Weltausstellung 
08.   Die "andere" Weltausstellung – ein Festival der Kreativität 
09.   Die Rolle der Kunst 
10.   Die humanistische Weltausstellung 
11.   Die Zeit vor der Jahrtausendwende – selbstbewußte Auseinandersetzung mit den
         Herausforderungen von morgen 
12.   Bilanz der Epoche – Werkstatt der Zukunft
13.   Moratorium des Alltags – die Weltausstellung als Fest 

Partner in Europa – Partner in der Welt

Die Weltausstellung 1995 in Wien und Budapest findet knapp vor der Jahrtausendwende in einem neustrukturierten zentraleuropäischen Kraft- und Spannungsfeld statt. Im Hinblick auf die sich weltweit immer dringlicher stellten den politischen und ökologischen Fragen hat sie besondere Aufgaben und Verpflichtungen. Sicher ist, daß diese Weltausstellung die Welt nicht mehr blauäugig und ungeprüft als "globalen Supermarkt" darstellen kann, als "Wunderland unbegrenzter Konsummöglichkeiten", wie dies bis in die jüngste Vergangenheit noch möglich war. 

Bei vielen vorbereitenden Gesprächen zur Weltausstellung herrschte deshalb in einem Punkt Übereinstimmung: wenn die Idee der Weltausstellung zurückkehrt in die Mitte Europas, dann darf sie nicht von unbekümmertem Pragmatismus geprägt sein. Das geistige Erbe und der geschichtliche Auftrag Europas und die bestehende Substanz der Städte Wien und Budapest selbst verlangen die Diskussion von Inhalten und Werten, die für eine Ausstellung der Welt relevant sein können. 

Der Anspruch, globale Fragen der Zukunftsbewältigung zu thematisieren, darf jedoch nicht zur Überlastung der Institution Weltausstellung führen – einer Manifestationen mit festlichem Charakter, zu der Menschen von weit her kommen. Vielmehr soll das für 1995 geplante "europäische Fest" ein Podium sein, um neue Formen kultureller und gesamtgesellschaftlicher Zusammenarbeit in der Mitte Europas der Welt als Modell zu präsentieren. 

Der Zwang zu Internationalität, der von einer Weltausstellung ausgeht, soll dabei nicht als Gefahr, sondern als Chance dafür empfunden werden, daß die vielgerühmte kulturelle Kompetenz der beiden Ausstellungsstädte sich ausreichend verwirklichen un deiner internationalen Verbreitung und Überprüfung stellen kann.

In der Konkurrenz und im wechselseitigen Austausch vielfältigster kultureller Impulse hat unkonventionelles Denken einst Mitteleuropa mit seinen Brennpunkten Wien und Budapest zu einem geistigen Weltzentrum gemacht. Wenn es eine europäische Identität gibt – dort liegen ihre Wurzeln.

Wien, Budapest, der Donauraum

Die EXPO '95 findet gleichzeitig in den beiden Donaumetropolen Wien und Budapest statt. Damit werden erstmals in der Geschichte der Weltausstellungen zwei Städte gemeinsam Gastgeber sein ("Twin-City-Konzept"). Zwei Städte an einem Fluß, zwei Orte mit besonderer Aura. 

"Das östlichste Tor des Westens und das  westlichste Tor des Ostens" (György Konrad) haben in der Vergangenheit dem europäischen Raum entscheidende Impulse gegeben. Wien und Budapest wollen diese Rolle mit der Weltausstellung wieder aufnehmen: als Orte kontinuierlicher Konsultationen aller west-, mittel- und osteuropäischen Länder im Zusammenhang mit der europäischen Einigung, wollen sie als Austragungsorte von Zusammenkünften zur Lösung der drängenden globalen Probleme der Zukunft sein. 

Die Geschichte von Wien und Budapest läßt sich lesen als Geschichte einer wachsenden Entfremdung zweier einst vielfach verbundener Städte, als die Geschichte eines unfreiwilligen Bedeutungsverlustes zweier ehemaliger Metropolen. Eine gemeinsame Weltausstellung könnte das Signal zu einer Wende geben, die eine dynamische Stadtentwicklungspolitik im Geiste gegenseitiger Unterstützung einleitet. Das kann aber nur gelingen, wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen und die Handlungsmuster, die Mitteleuropa in den Untergang geführt haben, bewußt überwindet. 

Das wichtigste Weltausstellungsobjekt wird daher nicht auf dem EXPO-Gelände in den beiden Städten zu finden sein, vielmehr ist es die Donaulandschaft als gewachsenes Wirkgefüge aus Kultur und Natur, ein mehrmals grenzüberschreitendes Lebewesen zwischen Wien und Budapest. Kulturell interessant wird die Donau als Symbol der Weltausstellung aber nur dann, wenn es gelingt, jenseits klischeehafter Vorstellungen der völkerverbindenden Kraft dieses Flusses konkrete Kulturprojekte unter Einbeziehung der Donau zu realisieren und Flußlandschaften zwischen Wien und Budapest ökologisch und als Lebensraum insgesamt vorbildhaft zu gestalten. 

1995 – Viele Anlässe für ein europäisches Fest

1995 wird es rund 1100 Jahre her sein, daß die Magyaren unter Fürs Arpad in der pannonischen Tiefebene zu siedeln begannen. Österreich wird mit dem Schlußtag der Weltausstellung die Milleniumsfeier seiner ersten urkundlichen Erwähnung beginnen. 

Von besonderer Bedeutung erscheint uns auch, daß zum Zeitpunkt der Weltausstellung genau ein halbes Jahrhundert vergangen sein wird, seitdem der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist: am 25. Juni 1945 ist die UNO-Charta verabschiedet worden, die bis heute einen wesentlichen Faktor zur weltweiten Friedenssicherung darstellt. 

Dieser Ereignisse wird 1995 ebenso gedacht werden wie der Befreiung Ungarns und Österreichs aus den Fesseln des sogenannten "Dritten Reiches" und den Flammen des Zweiten Weltkriegs. Für Österreich jährt sich überdies zum 40. Mail das Datum des Staatsvertrages, mit dem am 15. Mai 1955 die endgültige Unabhängigkeit und Souveränität des Landes besiegelt wurde. 

Es wird also 1995 markante Anlässe geben, die es rechtfertigen, daß Österreicher und Ungarn mit Stolz und Freude auf ihre Geschichte zurückblicken. Unter diesem Gesichtspunkt wollen sie die Welt dazu einladen, sich in ihrer Vielfalt zu präsentieren, um mit Zuversicht und Mut gemeinsam "Brücken in die Zukunft" zu bauen.  

"Brücken in die Zukunft" – Brücken in Europa und Brücken in der Welt 

Einer der Aspekte des Weltausstellungsthemas "Brücken in die Zukunft", ist die Vermittlung zwischen unterschiedlichen politischen Systemen. Auch nach den politischen Veränderungen in Ungarn bleiben historisch bedingte Unterschiede in der gesellschaftlichen Entwicklung bestehen, die eine Handreichung zwischen der westlichen Industrienation Österreich und dem ehemals in den Ostblock integrierten Ungarn zu einem Modell der europäischen Zusammenarbeit notwendig machen. 

In diesem Sinne sind wir davon überzeugt, daß die Umwälzungen in den Staaten des europäischen Ostens und die sich auf längere Zeit abzeichnende weltpolitische Entspannung des Thema "Brücken in die Zukunft" nicht obsolet gemacht haben – ganz im Gegenteil: erst jetzt ist es möglich geworden, gemeinsam zu planen, gemeinsam zu handeln, sich gemeinsam den drängenden Aufgaben der Zukunft zu stellen. 

Im Brückenschlag zwischen Österreich und Ungarn dokumentiert sich ein Stück europäischer Geschichte und europäischer Herkunft. Darin liegt die aus der neuen politischen Situation gewonnene Kraft des Motivs: Brücken in die Zukunft sind Brücken in Europa und Brücken für die Welt.

"Brücke" bedeutet in diesem Zusammenhang auch die konstruktive Überwindung von Gegensätzen, die dialektische Verbindung von "These" und "Antithese" zu einem neuen, besseren Ganzen. Dabei geht es vor allem um 

-        die Versöhnung von Natur und Technik, um die Bewohnbarkeit unseres Planeten auf Dauer zu sichern

-       die Verbindung des Nützlichen mit dem Schönen, um einen gesichtslosen Weg in die Zukunft zu entgehen

-        den Ausgleich von High-Tech und High-Touch, um die menschliche Dimension des Fortschritts zu wahren

-        die Interaktion von Gastgebern und Besuchern, um neue, kreative Formen der Begegnung zu ermöglichen

-        die Überwindung von Unterschieden, um eine partnerschaftliche Gesellschaft zu schaffen

-        die Bewältigung des Nord-Süd-Konflikts, um gewaltsame Verteilungskämpfe zu vermeiden

-     die Verbindung von Tradition und Fortschritt, um das geistige und kulturelle Erbe mit in die Zukunft zu nehmen 

Dies bedeutet für die Weltausstellung 1995 die Forderung an Gastgeber und Architekten, Aussteller und Sponsoren, Dinge und Ideen zu symbolisieren, sichtbar und erlebbar zu machen, die geeignet sind, einen kühnen und tragfähigen Übergang von der Gegenwart in die Zukunft zu bilden.  

Weltausstellung – Signale des Aufbruchs 

Bereits die Idee, 1995 eine gemeinsame Weltausstellung in Wien und Budapest durchzuführen, hat eine Vielzahl von Projekten und Vorschlägen mobilisiert. Die Gunst der Stunde muß nun auch gewahrt werden, um für Kultur und Wirtschaft der beiden Veranstaltungsländer neue, zukunftsbezogene Initiativen zu entwickeln. 

Wir möchten deshalb die Expo '95 auch als Instrument für unterschiedlichste Vorhaben nutzen, deren Realisierung ohne die Vision eines sechsmonatigen "Gesamtkunstwerks" wohl nicht so rasch in Angriff genommen würde. 

Beide Gastgeberstädte leiden unter einer Reihe von spezifischen, historisch bedingten Problemen. In Wien etwa gilt es, die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten und neue, attraktive Standorte für Firmenansiedlungen zu finden. Die städtebauliche Gestaltung des Nordbahnhof-Geländes und der Achse Lasallestraße – Wagramerstraße in Zusammenhang mit der Weltausstellung werden Meilensteine in der Entwicklung Wiens bedeuten. Wien an die Donau zu bringen, ein neues Zentrum, oder genauer, eine neue Peripherie dieser Stadt zu schaffen, wird durch die Weltausstellung 1995 beschleunigt und gefördert. 

Die aktuellen Probleme von Budapest sind weniger städtebauliche als vielmehr infrastrukturelle Herausforderungen: auf dem Weg von der Industriegesellschaft in die Informationsgesellschaft kann die Weltausstellung durch die Ansiedlung von High-Tech-Industrien Impulsgeber des Strukturwandels sein. 

Die jahrelange Arbeit an einem hochkomplexen Großereignis bedeutet aber für Budapest nicht nur den Ausbau der materiellen Infrastruktur, sondern vor allem Entwicklung der "personellen" Infrastruktur, Zugewinn an Wirtschaftskompetenz aller Beteiligten.

Das Humankapital war und ist das eigentliche Kapital einer Metropole. Die Expo '95 als Zeichen des Vertrauens in die eigene Leistungskraft soll so als Impulsgeber für kreative Leistungen in allen Bereichen dienen. 

Expo '95 – eine Chance für den Föderalismus 

Mit der Weltausstellung 1995 greifen Wien und Budapest eine Planung mit großer Dimension auf, in einer Phase des Umbruchs, der Bewegung und der Öffnung, die den ganzen Kontinent erfaßt hat, um durch diese Großveranstaltung der ganzen Region neue Orientierungen und Hoffnungen zu geben. 

Die Stärkung des internationalen Ansehens einer Metropole wird durch touristische  Impulse und durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen weit über ihre Stadtgrenzen hinaus wirksam. Die Weltausstellung 1995 bietet eine Reihe von Möglichkeiten, den Wirtschaftsraum zwischen Wien und Budapest zu entwickeln und zu modernisieren – ein Vorgang, der zweifellos auch auf die anderen Landesteile ausstrahlen wird. 

Eine der Grundvoraussetzungen der EXPO '95 stellt deshalb der Gedanke des "Kooperativen Föderalismus" dar: die Weltausstellung muß vom Anfang an als Anliegen des jeweils gesamten Landes geplant und verstanden werden. Wenn wir nicht die von Karl Kraus beschriebene "Versuchsstation für den Weltuntergang" sein wollen, sondern Werkstatt und Schauraum eines neuen Zeitalters, dann erfordert das die Mobilisierung aller geistigen und kulturellen, aller technischen und musischen Kräfte unserer Länder. Durch die aktive Beteiligung der Bundesländer Österreichs und der Komitate Ungarns an der Weltausstellung soll überdies der Idee der "Europas der Regionen" Rechnung getragen werden.  

Ökonomische Aspekte der Weltausstellung 

Die EXPO '95 ist als eine hervorragende Gelegenheit zu sehen, neue Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu erproben; sie muß allerdings Teil einer viel breiter angelegten Strategie sein, die alle sich bietenden ökonomischen Chancen nützt. Dabei werden beide Teile in permanenter Abstimmung ihrer Aktionen die jeweils spezifischen Entwicklungsschritte setzen. Österreich und Ungarn müssen nach der Weltausstellung das Gefühl haben können, diese Veranstaltung habe beiden Partnern etwas gebracht und die in sie gesetzten Erwartungen in beiden Fällen erfüllt. 

Die Aufgliederung der Investitionsbereiche legt auch eine Aufteilung der Finanzierungsverantwortung nahe. Auf der einen Seite wird die öffentliche Hand eine Reihe von Infrastrukturmaßnahmen (Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, Park-and-Ride-Systeme, Adaptierung des Straßennetzes) vorziehen müssen, um die Weltausstellung überhaupt erst möglich zu machen. Auf der anderen Seite werden die mit der Organisation der Weltausstellung betrauten Gesellschaften in Österreich und Ungarn private Investoren suchen, die dazu beitragen werden, daß sich der sechsmonatige Betrieb selbst finanzieren kann. Die wirtschaftlichen Grundsätze der Weltausstellung lauten daher:  

-     Finanzierung des Ausstellungsbetriebes ausschließlich über Eintrittsgebühren, Sponsorship, Pavillonvermietung und Merchandising

-        Optimale Organisation, d.h. professionelles Management nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit – unter besonderer Berücksichtigung der Umwelt – und Besucherfreundlichkeit. Damit hohe Attraktivität für Ausstellung und Sponsoren.

-       Umwegrentabilität, d.h. einerseits möglichst direkte Effekte auf die inländische Wertschöpfung (Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft, in Zulieferbetrieben sowie im Fremdenverkehr), andererseits eine Reihe indirekter Wirkungen: bleibende Infrastrukturverbesserungen in der gesamten Region, langfristige Werbewirkung für Österreich und Ungarn, ihre Exportprodukte und Dienstleistungen, sowie Transfer von Know-How, der zur Etablierung weiterer "intelligenter" Produkte in unseren Ländern führen wird.

-        Effektive Formen der Nachnutzung, d.h. bleibende Strukturen, die das Stadtbild bereichern und nicht zu einer dauernden Belastung der öffentlichen Haushalte werden, und/oder temporäre Strukturen, die nach Ende der Ausstellung eine Wiederherstellung des vorherigen Zustandes (z.B. von Erholungsflächen) gewährleisten. Wohn-, Arbeits- und Erholungsgebiete, die vor der Weltausstellung noch nicht optimal genützt werden konnten, sollen nach dieser eine höhere Wertigkeit besitzen.

-        Aufwertung des gesamten Donaubereichs, d.h. Integration von Stadt und Strom in infrastruktureller und baulicher Hinsicht, in neuen Nutzungsformen, in Kultur und Ästhetik.
 

Die "andere" Weltausstellung – ein Festival der Kreativität 

Angesichts der globalen Herausforderungen dieses Jahrzehnts (Nord-Süd-Konflikt, Welt-Ökologie, Wanderungsbewegungen) wird der Prozeß eines konfliktfreien Zusammenrückens der Welt immer schwieriger. Auch bei einer Weltausstellung, die sich als "Fest" versteht, ist ein Ausblenden dieser Probleme nicht möglich. 

Der Begriff der "anderen" EXPO, wie wir ihn für die Weltausstellung 1995 fordern, steht daher für den Versuch, vom Typus der reinen "Leistungsschau" abzugehen und statt dessen eine Plattform des engagierten Dialogs zu bilden, ein Ort auch der Selbstreflexion, der Kritik, des in-Frage-Stellens zu sein, ein  lebendiges, angstfreies Diskussionsforum – kein Museum mit fertigen Schaustücken, sondern eine Werkstatt: nicht ein Ende, sondern ein Anfang, nicht ein Produkt, sondern ein Prozeß. 

Wir werden deshalb versuchen, Ideen zu stimulieren und Konzepte zu erarbeiten, die geeignet sind, gleichermaßen kühne wie tragfähige Brücken von der "Gegenwart des Unterschiedlichen" in die "Zukunft des Vielfältigen" zu entwerfen. 

Anders als in den meisten anderen gesellschaftlichen Feldern ist im Bereich von Kunst und Kultur unter günstigen Bedingungen jener Freiraum zu gestalten, der die Realisierung von Utopien des Handelns und Verhaltens in überschaubaren Vorhaben zuläßt. Dabei wird erst die persönlich erfahrende Freiheit zu schöpferischem Handeln in der Folge zu einem gesellschaftlichen Wert. 

Freie Selbstentfaltung und Kreativität bedingen einander. Es ist deshalb unsere erklärte Absicht, einen "spirit of creativity" in allen Dimensionen der Ausstellung zu vermitteln und darzustellen, um so die Voraussetzungen für eine "kreative Inventur" des Bestehenden und darauf aufbauende Modelle und Strategien zu schaffen. 

Die Rolle der Kunst 

Eine Weltausstellung nach unserem Verständnis hat die Verantwortung, gesicherter und bewerteter Vergangenheit gerecht zu werden, die bewegten Konturen der Gegenwart zu spiegeln und die Zukunft als eine Chance zu sehen, die zu Hoffnungen und Träumen berechtigt, auch wenn sie gelegentlich verwirrt und Angst macht. 

Kunst hat die Energie, diese Anliegen zu formulieren. Kunst schafft jene kritische Distanz, die naiven Optimismus problematisiert und blinden Fortschrittsglauben zu hinterfragen hilft. Insofern darf die Beziehung von Kunst und Weltausstellung auch spannungsgeladen, konfliktreich ja unberechenbar sein. 

Wenn eine Weltausstellung humane Dimensionen haben soll, zukunftsweisend auch für die Entwicklung humaner Technik und Weltbeherrschung, dann muß sie die Möglichkeit bieten, Modelle im kreativen Bereich zu entwickeln. Hier ist Kultur, sind vor allem die Künstler in der Rolle des Protagonisten.

Welche Tiefe das Bekenntnis zu einer "anderen" Weltausstellung hat, wird sich an ihre Bereitschaft erweisen, aufwendiges Imponiergehabe durch überzeugende Darstellung betäubende Harmonie durch befreiende Vielstimmigkeit zu ersetzen und auf grell geschminkte Attraktivität zugunsten anspruchsvoller Ästhetik zu verzichten. Nicht die Kunst soll um ihren Platz in der Weltausstellung werben, vielmehr soll die Weltausstellung sich darum bemühen, für Kunst und Künstler relevant zu sein. 

Wien und Budapest haben dabei die Chance, das geistig-kulturelle "Laboratorium" eines neuen Europa zu werden. Wir präsentieren uns als Ort der kreativen Begegnung, der ungewöhnlichen und einfallsreichen Kooperation, wodurch für Künstler und Kunstinteressierte aus aller Welt ein die verschiedenen Kulturen übergreifendes Kunstforum entsteht.  

Die humanistische Weltausstellung 

"Kultur ist Reichtum an Problemen" (E. Friedell) 

Die Weltausstellung in Wien und Budapest wird nicht zuletzt auch ihren eigenen Bedeutungswandel darzustellen haben. Es geht nicht mehr darum, mit echter oder gespielter Euphorie den Aufbruch der großen, weiten Welt zu neuen, herrlichen Ufern zu illustrieren. Längst ist neben die Präsentation technischer Errungenschaften auch die Frage nach dem Sinn des menschlichen Fortschritts getreten. 

Für die Weltgesellschaft gewinnt die Überwindung sozialer Spannungen neben der Bewältigung technischer Herausforderungen, immer mehr an Bedeutung. 

Ein Überdenken der Wertvorstellungen, ein Brückenschlag zwischen bewährten Erfahrungen und neuen Lösungen ist notwendig: im Zusammenwirken von gegenwärtigem wissenschaftlichem Know-How und politischem wie wirtschaftlichem Gestaltungswillen sind Modelle einer lebenswerten Gesellschaft für das heraufkommende Jahrtausend zu entwickeln.

Die Wiederentdeckung eines "humanistischen Menschenbildes", das die menschliche Person als Mittelpunkt und Maß aller Bereiche gemeinschaftlichen Zusammenwirkens, begreift und alle kreativen Möglichkeiten des menschlichen Geistes zu entfalten versucht, kann aus der reichen kulturellen Tradition Österreichs und Ungarns wertvolle Impulse beziehen. 

Die EXPO '95 wird in diesem Sinne versuchen, dem vorausschreitenden Wertewandel nachzuspüren und gesellschafts- und kulturkritische Ansätze zu thematisieren. Bestehende Entwürfe zu den Ost-West-, aber auch Nord-Süd-Perspektiven im Bereich der Weltkulturen sollen aufgegriffen werden, um einen Ausweg aus der postmodernen Gleichrangigkeit von Werten und Dingen zu finden. Eine "kreative Inventur" des Vorhandenen und eine Überprüfung der Utopien der Moderne würde die Horizontalität der Ideen zugunsten einer neuen Hierarchie des Notwendigen ablösen. 

Die Überwindung alles Trennenden, die Entdeckung und Wiederbelebung von gemeinsamen Werten und Überzeugungen, der Übergang von Verschlossenheit und Isolation zum sich Öffnen, von Quantität zu Qualität, der Ausbruch aus erstarrten Formen zu lebendigen Organismen, die Anerkennung und Integration kultureller und ethnischer Vielfalt im Sinne gegenseitiger Bereicherung, der Schritt von geschlossenen Systemen zu offenen Strukturen ist die neue Qualität von Freiheit im humanistischen Sinn.

Daher darf die Weltausstellung in Wien und Budapest keine reine technische Leistungsschau werden, sondern ein kulturelles Großereignis, ein Fest der Kreativität und eine Stätte der Begegnung, des Aufeinanderzugehens, der Konfrontation und der Kommunikation, eine Plattform des engagierten Dialogs, auf der Impulse, Anregungen und neue Ideen angeboten werden und entstehen, die richtungsweisend für die Zukunft in einem neuen Zeitalter sind: "Brücken in die Zukunft zu einer sich selbstentfaltenden und kreativ verändernden Weltgemeinschaft und zugleich Brücken zu einer globalen Zukunft der Menschheit" (E. Laszlo). 

Die Zeit vor der Jahrtausendwende – selbstbewußte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Welt von morgen. 

Niemand kann eine treffsichere Prognose über die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Bedingungen abgeben, unter denen die EXPO in Wien und Budapest stattfinden wird. Daher können im folgenden nur einige Hypothesen aufgestellt werden, die Denkanstöße über die allgemeine Situation der Zeit und den möglichen "Zeitgeist" des Jahres 1995 geben sollen. 

Unter der Voraussetzung, daß bis dahin keine großen politischen oder Naturkatastrophen stattfinden, kann vermutet werden:  

-       Die Völker Europas haben zu einem generell friedlichen Zusammenleben gefunden, das sich in einem konzentrischen Wirtschaftsmodell äußert, in dessen Mittelpunkt ab 1992 ein gemeinsamer Markt steht, um den sich Zonen mit verschiedener Intensität wirtschaftlicher und politischer Kooperation bilden.

-        Es wird auch 1995 noch kein Ende der Nationalitätenkonflikte erreicht sein, da es nicht möglich ist, in fünf Jahren oft jahrhundertealte ethnische und religiöse Differenzen beizulegen und starke wirtschaftliche Disparitäten auszugleichen. Lösungsmöglichkeiten werden vor allem in neuen föderativen und konföderativen Strukturen gesucht und gefunden werden.

-       Die Frage nach der Erhaltung bzw. Wiedererlangung des ökologischen Gleichgewichts wird bis 1995 nichts an Dringlichkeit verloren haben. Punktuelle Lösungen werden zwar erzielt worden sein, doch bleiben lokale und globale Bedrohungen der Umwelt bestehen, die in ihrer Bedeutung die meisten anderen Probleme überschatten werden.

-        Der Wohlstand wird sich in West-, Mittel- und Osteuropa weiter erhöht haben, was zu größerer Mobilität der Menschen führt. Dennoch wird 1995 noch immer ein Wohlstandsgefälle zwischen den Staaten Ost-(Mittel-)Europas und Westeuropas bestehen.

-       Die Arbeitszeit kann bis 1995 da und dort verkürzt worden sein, von einem Überborden tatsächlich disponibler Freizeit wird jedoch nicht gesprochen werden können. Dennoch wird die Freizeitwirtschaft (d.h. die Summe an Sport-, Fun- und Ferienangeboten) stark an Bedeutung gewonnen haben. Dabei wird der Kultur- und "Special-Interest"-Tourismus zunehmen, während der reine Erholungstourismus eher zurückgehen wird.

-        Die technologische Entwicklung wird unter anderem weiter Zuwächse im Bereich der Informations- und Unterhaltungs-Elektronik bringen. Im Berufsleben wird sich die Datenverarbeitung immer mehr durchsetzen. Der Heimcomputer wird seinen Siegeszug fortsetzen, das bedeutet eine neuentstandene Vertrautheit breiter Kreise mit Bildschirm und Tastatur.

-        Eine notwendig technologisch-soziale Revolution, nämlich die Bewältigung des Individualverkehrs – vor allem in den Städten – wird sich bis 1995 noch nicht ereignet haben. Die Ballungsräume der Alten und Neuen Welt werden die Belastung durch die Autos, die Städte der Dritten Welt die Probleme der Bevölkerungsexplosion noch mehr als heute spüren.

-        Postmaterialistisches Denken, "bewußter Konsum", individuelles ökologisches Handeln und die Orientierung an alternativen Werten ("Sein statt Haben", New-Age-Values, etc.) wird zunehmen.

-        Je näher die Jahrtausendwende herannaht, umsomehr ist mit Endzeitmythen zu rechnen, die jedoch beim Großteil der Bevölkerung zu einer Verstärkung hedonistischer Lebensauffassungen führen werden. Jede große kulturelle Initiative wird dabei im Spannungsfeld zwischen "elitär" und "populär" stehen.
Publikumserfolg auf breiter und kommerziell erfolgreicher Basis wird die EXPO '95 daher nur mit Angeboten, die auch dem Massengeschmack entgegenkommen, erzielen können.
 

Bilanz der Epoche – Werkstatt der Zukunft 

Nicht nur die globalen Ressourcen werden knapp, sondern auch die globalen "Stauräume". Gerade in hochentwickelten Zivilisationen stellt sich dieses "Depotproblem" drastisch. Es geht um die Frage des Umgangs mit dem Vorhandenen, um Platz für Neues zu gewinnen. 

Die EXPO '95 soll eine Aufforderung zur Inventur der materiellen Kultur und der uneingelösten Utopien sein, deren Tragfähigkeit und gesellschaftliche Attraktivität zu Debatte steht. "Brücken in die Zukunft" als Mautstellen, an denen gefragt wird: was ist das Wesentliche, das Wichtige, das Haltbare und wie antworten verschiedene Kulturen (Entwürfe, Strategien, Systeme, Strukturen, Interessen) auf diese Fragen? 

Diese Problematik der Selektion und Bewertung stellt sich auch angesichts der kommenden Jahrtausendwende mit immer größerer Dringlichkeit. Es werden sich Bestrebungen und Initiativen mehren, die eine "Epochenbilanz" ziehen wollen. Die EXPO '95 könnte den Charakter einer "kreativen Inventur" annehmen: stellen wir uns vor, die Brücke trägt nicht mehr all den Ballast, der uns umgibt – was ist dann das Unverzichtbare, nach welchen Kriterien soll die Auswahl getroffen werden? Welche neuen Ideen sind darauf aufbauend mobilisierbar? 

Eine Epochenbilanz ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn aufgrund dieser "Bilanz der Vergangenheit" ein "Budget der Zukunft" erstellt wird und aus einer "Weltrecherche" der kulturellen Traditionen tragfähige Zukunftsperspektiven entwickelt werden. Eine solche Recherche darf sich jedoch nicht auf eine "Fundusüberprüfung" beschränken, es muß auch sehr genau beobachtet werden, wo Neues, Tragfähiges entsteht, das noch nicht Gemeingut geworden ist. 

Deshalb werden wir uns auf der Weltausstellung 1995 in Wien und Budapest auch in Bezug auf unsere Gegenwart die Frage stellen, wo die Kraftströme sind, wo die Ideen, wo die Provokationen, die dazu führen könnten, daß man im 21. Jahrhundert sagt: im späten 20. Jahrhundert sind nicht nur neue Behinderungen, Verschmutzungen und Gefährdungen entstanden, sondern auch Entwicklungen, die sich als positives "Vermächtnis des 20. Jahrhunderts" erweisen und bewähren. 

Moratorium des Alltags – die Weltausstellung als Fest 

Manés Sperber hat darauf verwiesen, daß der Mensch seit Jahrtausenden bestrebt ist, der täglichen Wiederkehr des Gleichen – dem "grauen Alltag" – zu entfliehen. Eines des ältesten Heilmittel gegen die Last des Alltäglichen besteht im Feiern von Festen. 

So wohnt jeder Weltausstellung neben ihren wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen eine zusätzliche Qualität inne: sie wird zum "Sonntag" in der Geschichte eines Volkes, zum "Moratorium seine Alltags", zu Ort und Zeit der Freude und des Feierns seiner Bürger. 

Wir legen deshalb größten Wert darauf, daß neben der wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen der Weltausstellung auch ihr Fest-Charakter betont wird. Sie sollte als Ort der Freude und des Feierns besucht werden können und einen Kontrapunkt zur "Last des Alltäglichen" darstellen. 

Weltausstellung als Fest der Völker, als Dialog zwischen den beiden Veranstalterländern, zwischen den Gastgebern und den sich beteiligenden Nationen und zwischen den Ausstellern selbst. Neben den Leistungsvergleich, in dem oft der quantitative Wettbewerb dominiert, tritt die qualitative Chance von Kommunikation: Sprache und Lebensform, Austausch und Ideenprogramm. 

Es ist dabei unsere Absicht, nach spezifischen Formen einer "Festkultur" zu suchen, die sich nicht in Allerwelts-Posen verliert, sondern der Eigenart der beiden Ausstellerländer und –städte mit Hilfe einer besonderen Ästhetik Rechnung trägt. Ohne ein "Festival der Nostalgie" zu entwerfen, soll das für die Donauregion Typische ausgedrückt werden: das Musische, das Harmonische, das Heiter-Gemessene, die Zurückhaltung vor dem Lauten und Großen – Bestandteile österreichischer und ungarischer Wesensart. Wie sich in den berühmten Kaffeehäusern Wiens und Budapests eine vordergründig leere Spanne Zeit kunstvoll in eine kostbare, kreative Pause zu verwandeln pflegt, soll der Besuch der Weltausstellung 1995 nicht im Hasten von Attraktion zu Attraktion, sondern im gewinnbringenden geistigen Erleben bestehen. 

Dabei sollen jedoch nicht Gegensätze in Kultur und Lebensauffassung unterdrückt und verwischt werden. Die EXPO '95 wird vielmehr versuchen aufzuzeigen, wie "Einheit in der Vielfalt" und Wege zum Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen am Beginn eines neuen Jahrtausend möglich sind.

Jänner 1991 - G. Feltl / E. Semrau