Projekte > Expo '95 > Die Wirklichkeit ist nur eine Möglichkeit (Monika Mokre)

Eine Weltausstellung am Ende des 20. Jahrhunderts steht in einem Spannungsfeld: Einerseits zwischen immer komplexeren und dichteren weltweiten Zusammenhängen und andererseits dem Bedürfnis des Individuums nach Kleinräumigkeit und Überschaubarkeit. In diesem Sinne spiegelt die Expo '95 in Wien die Situation dieser Stadt am Wendepunkt zu einer neuen Selbstbestimmung wider. Die oft beklagte und doch auch lieb gewonnene geografische und politische Abseitsstellung muß zugunsten einer neuen Schlüsselposition aufgegeben werden. Hoffnungen und Ängste sind in einer solchen Situation groß: Während die einen auf hochbezahlte Arbeitsplätze bei internationalen Konzernen hoffen, fürchten die anderen, auf dem Arbeitsmarkt der Konkurrenz der ausländischen Zuwanderer zu unterliegen. Der Chance einer kulturellen Bereicherung durch den Kontakt mit fremden Menschen steht die Gefahr einer chaotischen und auf vielfältige Art gewaltsamen Konfrontation unüberwindbarer Interessensgegensätze gegenüber. "Wien ist anders" haben wir selbstbewußt und stolz in den vergangenen Jahren in und für Wien geworden. So wie wir dem Motto "Brücken in die Zukunft" nun neu begegnen müssen, so müssen wir dieses anders Sein nun neu definieren. (Hannes Swoboda, Lothar Fischmann: Auf dem Weg nach Mitteleuropa. Perspektiven 1990).

Am Projekt der Expo '95 kristallisieren sich sowohl Hoffnungen als auch Ängste. Die Widersprüchlichkeit der Anforderungen in einer modernen Großstadt werden auf plakative Art veranschaulicht: Bewohner, Besucher, Investoren und Aussteller wollen ihre Ansprüche von der Weltausstellung befriedigt sehen. In der Planung und Vorbereitung dieser Großveranstaltung spiegeln sich alle Anforderungen, die an die Stadtentwicklung gestellt werden. Die Gefahr, daß berechtigte Wünsche dabei übergangen werden, ist groß; die vielfältigen Ängste vor einer Verdrängung der Anwohner, einer drastischen Reduktion von Grünraum oder einer völligen Überlastung des Verkehrsnetzes entbehren nicht der Grundlage. Doch sind es gerade diese Risiken, denen sich die Stadtplanung der nächsten Jahrzehnt auf jeden Fall stellen muß, für die die Expo '95 einen wesentlichen Probelauf darstellt und zugleich auch eine Chance zur produktiven Bewältigung: "In diesem Sinn mag die Weltausstellung Mitte der Neunziger Jahre zum Symbol einer Wendung Wiens zu einer internationalen Metropole werden, die ihren Bewohnern die Chance zu Arbeitsplätzen bietet, bei denen sich Kreativität auch bezahlt macht". (Michael Wagner: Weltausstellung Wien 1995. Perspektiven und Planungsvoraussetzungen, 1988).

Akzente statt Definitionen.

 Was ist nun diese Weltausstellung? Ist sie ein vergrößertes Volksfest, ein Disneyland auf Zeit, eine Verkaufsschau der Nationen, eine Summe von kulturellen Veranstaltungen, ein Mittel der Stadtentwicklung ? Wahrscheinlich einiges davon und zugleich vieles andere. Wäre die Expo ein klar umrissenes Projekt, so wäre vielleicht leichter der Enthusiasmus für sie zu finden, den Robert Schediwy bisher vermißt. Im Gegenzug müßte sie wohl dafür auf viele Zwischentöne verzichten, die bislang eine ausschließliche Zielvorgabe verhindern und nur zulassen, daß Akzente und Prioritäten gesetzt werden.

 Die Stadt Wien hat ihre Prämissen sehr deutlich formuliert und festgeschrieben. Die Stadtentwicklung in einer menschengerechten Form besitzt Vorrang vor den Wünschen der Investoren als auch gegenüber jenen der Aussteller und Besucher. Das Weltausstellungsgelände ist Teil der Entwicklungsachse der Stadt Wien; seine Gestaltung und Bebauung erfolgt im Rahmen eines Leitprogrammes für den gesamten donaunahen Bereich.

Priorität der Stadtentwicklung.

Dieses Leitprogramm zielt darauf ab, neuen Wohnraum zu schaffen und die Nutzung des Siedlungsgebietes nahe der Donau zu verdichten. Das Gebiet vor der UNO-City und dem Konferenzzentrum, auf dem die Expo stattfinden wird, ist neben dem Nordbahnhofareal und dem Messegelände Schwerpunktgebiet der baulichen Entwicklung und wird künftig durch eine dichte, vermischte urbane Nutzung geprägt sein. Die Entsorgung der Mülldeponie und die Überplattung der A22 sind wesentliche Voraussetzungen für die Schaffung hochwertigen Wohn- und Gewerberaumes. Den Nutzungsschwerpunkt bildet eine Mischung aus Wohnungen und Büros mit einem hohen Anteil an Freizeit- und Kultureinrichtungen.

Umfassendes Entwicklungsprogramm.

 Die Sinnhaftigkeit der Entwicklung dieses Gebietes kann indes nur in gesamtstädtischem Zusammenhang beurteilt und begriffen werden. Das Leitprogramm trifft daher auch Festlegungen zum Schutz und zur Strukturverbesserung der bestehenden urbanen Räume. Stadterneuerung und Stadterweiterung stehen sich nicht als gegensätzliche Konzepte gegenüber – sie ergänzen einander zu einem Entwicklungsprogramm, das die gesteigerten qualitativen und quantitativen Anforderungen der alten und neuen Bewohner Wiens berücksichtigt. So sollen etwa die neuen Wohnflächen am Messeareal den Bewohnern des Stuwerviertels zur Verfügung stehen, die durch Entkernungen und Umnutzungen ihren Wohnraum einbüßen. Dadurch wird die Wohnqualität in den gründerzeitlichen Stadtgebieten erhöht, ohne daß die durch die Entkernungen berührte Bevölkerung ihr vertrautes Wohngebiet verlassen muß.

 Die Gestaltung des urbanen Raumes orientiert sich in erster Linie an der Frage, ob sich die Wohnbevölkerung in ihm wohlfühlen kann. Grundlegende Bedürfnisse nach hochwertigen Wohnungen, günstigen Anbindungen an den öffentlichen Verkehr und nach Möglichkeiten der Rekreation sind daher unumstrittene Standards eines städtischen Entwicklungsprogramms. Doch daneben gibt es auch divergierende Ansprüche: Macht für die einen die Erhaltung ihres gewohnten Umfelds einen Gutteil ihrer Lebensqualität aus, so erwarten sich die anderen von einer Großstadt die Möglichkeit, neue Lebens- und Wohnformen erproben zu können. Flexibilität und das Bedürfnis nach Erneuerung sind genauso wie Immobilität und die Erhaltung des Althergebrachten legitime Lebenskonzepte, die beide in einer Metropole Raum finden müssen.

Die Definition von städtischen Teilbereichen mit unterschiedlichen Zielvorstellungen schafft im Rahmen des Leitprogrammes die Möglichkeit eine differenzierte Strategie der Erneuerung einzuschlagen. So wird etwa am Nordbahnhofgelände eine gemischte, dichte Struktur entwickelt, in deren Rahmen auch neue städtische Wohnformen Platz finden. Das Karmeliterviertel und das Czerninviertel sowie auch das Stuwerviertel werden hingegen in ihren historisch gewachsenen Formen erhalten und saniert.

Besonderen Schutz erfahren indes nicht nur bestehende Wohnviertel, sondern auch die Grünräume, die einen unverzichtbaren Bestandteil der urbanen Struktur ausmachen. Die donaunahen Gebiete bedeuten eine wesentliche Ressource teils gestalteten, teils naturnahen Erholungsgebietes für die Bevölkerung der Gesamtstadt. Der Grüne Prater, die Ufergebiete der Neuen Donau und die Donauinsel selbst, der Donaupark und die Alte Donau werden daher durch das Leitprogramm gesichert und von Bebauung freigehalten.

Neue Formen der Bürgerbeteiligung.

In seiner Gesamtheit bildet das Leitprogramm ein ausgewogenes, auf unterschiedliche Bedürfnisse abgestimmtes Gerüst für die Planungen der nächsten Jahre. Viele der formulierten Ansprüche werden erst im Rahmen der konkreten Planung und der Verhandlungen mit Investoren und Bewohnern einzulösen sein. Interessenskollisionen sind wohl in vielen Fällen unvermeidlich; die Formen der Entscheidungsfindung aber werden Standards für die künftige Stadtplanung setzen. Die Abwägung zwischen den Anforderungen der ansässigen und der zuwandernden Bewohner, zwischen dem Nutzen für die Anrainer bzw. für die Bürger der Gesamtstadt erfordert eine differenzierte Vorgangsweise, die mit großer Sorgfalt Argumente und Gegenargumente beachtet, ohne dabei durch Zögerlichkeit den Zeitdruck der Entscheidungen zu verstärken. Es gilt, Formen der Bürgerbeteiligung zu finden, die weder zu einer Blockierung wesentlicher Prozesse durch vereinzelte Interessensgruppen führt noch die berechtigten Sorgen und Ängste der Betroffenen einfach übergeht. Konsequenzloser Populismus, der die Interessen weniger gegen die Vorteile vieler ausspielt, kann nur durch verbindliche Regelungen über die Rechte von Anrainern, Initiativen und Interessensvertretungen vermieden werden.

Jenseits von Entscheidungsbefugnis und Kompetenzverteilungen erscheint es indes für die Stadtentwicklung von hoher Bedeutung, daß möglichst alle Meinungen zu geplanten Entwicklungen gehört werden. Gerade in Zeiten, in denen der Druck von außen zu raschen Entscheidungen zwingt, bedarf es der Berücksichtigung unterschiedlicher Positionen, um schwer revidierbare Fehlentscheidungen zu vermeiden. "Der öffentlichen Hand war in diesem Zeitraum bewußt, wie sehr der Erfolg der Weltausstellung davon abhängt, vielfältige Initiativen anzuregen. In ihnen finden auch Kritiker ausreichend Raum; denn ihre Skepsis fordert Impulse heraus, ohne die eine Weltausstellung Gefahr liefe, nur Projekt einer dem kaufmännischen Denken verpflichteten Veranstaltungsgesellschaft zu sein". (Monika Mokre/Michael Wagner: Angenommene Herausforderung, 1990).

Fokus der Kritik.

Die Expo '95 bedeutet auch für diejenigen einen Fokus, die der abzusehenden Entwicklung Wiens kritisch gegenüber stehen. An ihr entzündet sich eine Diskussion, in der viele Elemente des Widerstandes gegen sehr viel weiterreichende Veränderungen (als sie durch die Veranstaltung selbst entstehen) enthalten sind. Sie bildet nicht nur für die Stadtentwicklung am anderen Ufer der Donau einen Brückenkopf, sondern zugleich auch einen für die gesamte Stadtplanung der nächsten Jahrzehnte. Für die Organisatoren der Weltausstellung macht es diese Verklickung oft schwierig, mit skeptischen Argumenten produktiv umzugehen; trotzdem kann auch dieser "Beschleunigungseffekt" von Ängsten und Widerständen langfristig zu positiven Entwicklungen führen. Denn Wien steht in seiner Entwicklung – ebenso wie viele andere mitteleuropäische Städte – an einem Scheideweg: Wenn auch viele äußere Faktoren bestimmenden Einfluß auf die Perspektiven der Stadtplanung ausüben, so sind die Auswirkungen von Zuwanderung und vermehrten wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kontakten doch nicht unbeeinflußbar und es gilt, eine Fülle von Entscheidungen unterschiedlichen Gewichtes zu treffen. Nur im ständigen Diskurs mit Bevölkerung und Interessensvertretungen kann es den Verantwortlichen der öffentlichen Hand gelingen, Lösungen zu finden, die die Wahrscheinlichkeit sozialer Konflikte minimieren. "Die erste Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft zum offenen Diskurs: Zielsetzung, Standort, Inhalte, Trägerschaft, Finanzierung, Folgenutzung, Umwegrentabilität und gesamtwirtschaftliche Effekte der Weltausstellung müssen öffentlich und ausführlich diskutiert werden. Der dafür notwendige argumentative und zeitliche Aufwand ist kein Schwächezeichen unserer Demokratie, sondern vielmehr Garant dafür, daß nicht durch sogenannte einsame Entschlüsse falsche Weichenstellungen und Festlegungen erfolgen. Diese Diskussionen werden auch in Zukunft das Projekt in jeder Phase seiner Realisierung begleiten" (Gerhard Feltl).

So drückt auch das von der SPÖ organisierte Volksbegehren "Ex für die Expo" nicht nur das parteipolitische Kalkül einer Oppositionspartei aus, sondern stellt zugleich eine Manifestation real vorhandener Ängste und Unsicherheiten dar: "Grundstückspekulationen, Mietzinserhöhungen und eine Verkehrshölle im gesamten Osten Österreichs", vor denen der Volksbegehrenstext warnt, sind sicher eine ernst zu nehmende Gefahr, die sich indes in erster Linie nicht aus der Expo ergibt, sondern aus der zunehmenden Attraktivität Wiens für Investoren und Zuwanderer. Verschiedene Strategien, diesen Gefahren entgegenzutreten, bieten sich an. Eine davon – wenn wohl auch nicht die günstigste – ist das Abblocken dieser Entwicklungen, das bewußte Verhindern ausländischer Investitionen und die Errichtung eines neuen Eisernen Vorhanges gegen potentielle Einwanderer. Eine andere Möglichkeit ist die sanfte Steuerung des Wachstums unter Zuhilfenahme von Instrumenten der Stadtplanung, der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

"Das eigentliche Problem für das neue Wachstum Wiens sind, so absurd es klingt, nicht seine Planer, seine Ressourcen und Kompetenzen – es ist die jahrelange Schrumpfung dieser Stadt. Denn nicht nur tatsächlich, auch städtebaulich ist Wien immer kleiner geworden, es ist verkleinstädtert. Und das wird von vielen als Vorteil empfunden", schreibt Dietmar Steiner in einem Artikel (Falter 6/91). Eine Gegenüberstellung fortschrittlicher Politiker und reaktionärer Bürger greift indes in dieser Situation ebenso zu kurz wie die Formulierung im "Ex für die Expo": "Eine derartige Veranstaltung muß vor allem vom Willen der Bevölkerung – die ja der eigentliche Gastgeber ist – getragen werden". Es bedarf einer ausführlichen und ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen dem Entscheidungsspielraum gewählter Politiker und den berechtigten Ansprüchen der Bürger. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet Felix Josef in diesem Band mit seinem Beitrag "Bürgerbeteiligung bietet sich an". Ausgehend von seinen umfangreichen Erfahrungen mit Bürgerbefragungen entwickelt er in Anlehnung an ausländische Versuche das Konzept eines "Schöffenverfahrens", das eine Einbindung der Bürger ermöglicht, die Anspruch auf Repräsentativität erheben kann.

Kultur des Übergangs.

Entscheidet man sich für ein wachsendes Wien, so liegt die wesentlichste Frage wohl nicht auf ökonomischer Ebene, sondern im soziokulturellen Bereich: Wie kann Wien die Zuwanderung aus den östlichen Nachbarstaaten so bewältigen, daß sie zur Stärkung der eigenen Identität beiträgt und nicht zu einem unproduktiven Konflikt unterschiedlicher Kulturen führt? Für diese Frage könnte die Expo '95 in vielerlei Hinsicht als Metapher dienen: Wien und Österreich präsentieren sich der Welt und sogleich nutzt die Welt auch Wien als Ausstellungsfläche. In großer Zahl kommen fremde Menschen nach Wien und konfrontieren die Stadt mit einer Fülle von Unbekanntem – mit ihren kulturellen Vorstellungen, ihrer ökonomischen Lage, ihrem sozialen Umgang. Ihrem Umfang nach ist jede Weltausstellung eine Form der Völkerwanderung, in der viele Menschen mit verschiedenen Sprachen und dramatischen Unterschieden in ihren Lebenschancen zusammentreffen. In einer solchen Form des Kontakts ist immer auch ein Element von Gewalt enthalten, eine Spannung, die es zu ertragen und produktiv zu nutzen gilt. Freilich reichen sechs Monate Expo nicht aus, um ein tiefes Verständnis für andere Kulturen zu entwickeln – doch wenn wir Wiener im Sommerhalbjahr 1995 (wieder) beginnen, den Umgang mit Fremden in großer Zahl zu üben, Bereiche der Offenheit und eigene Grenzen abzustecken, so kann die Weltausstellung wesentlich dazu beitragen, uns auf Gäste vorzubereiten, die uns nicht nur wenige Tage lang besuchen, sondern vielleicht sogar mit dem Ziel kommen, selbst einmal zu dieser Stadt zu gehören.

Die Weltausstellung ist so wesentlich als symbolischer Akt zu verstehen und gleichzeitig als Transit-Station im Sinne der Erklärung des Kulturbeirates der Stadt Wien: "Ausgehend von Begriffen wie Bewahren und Schonen soll die Frage nach dem Umgang mit dem Vorhandenen und dem Traditionellen gestellt werden, um Platz für Neues zu gewinnen".

So gesehen könnte die Idee, die Günter Nenning in diesem Band vertritt, daß mehrere 1.000 Ausländer auf längere Zeit mit den Wienern leben, ein Teil der Expo sein – ein Schritt von der Simulation zu dem Rest von Realität, der noch erfahrbar ist, wie es Elmar Zorn formuliert.

Das Twin-City-Konzept.

Die Idee der Weltausstellung entstand vor mehr als 100 Jahren. Sie beruhte auf dem menschlichen Streben, die Werke und Taten der Nationen und ihre Macht zu demonstrieren, war so getragen von einem tiefen Vertrauen in den technischen Fortschritt der Menschheit, das heute mehr denn je starken Zweifeln ausgesetzt ist. Hiroshima und Tschernobyl sind Ortsbezeichnungen, an denen sich die Grenzen der technischen Machbarkeit dramatisch zeigen; die Berichte des Club of Rome haben es für viele fraglich erscheinen lassen, ob es für die Menschheit eine Zukunft überhaupt gibt.

Wenn eine solche Zukunft existieren soll, bedarf es indes erst recht der geistigen Anstrengung der Menschen, des gemeinsamen Denkens und Planens. Vielleicht setzt der Begriff des Fortschrittes ein falsches Signal, alles hinter sich zu lassen – doch ein Fortschreiten der Ideen, der Visionen und der Utopien ist umso nötiger, je unübersichtlicher und komplexer gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Zusammenhänge werden.

Soll die Expo '95 in diesem Sinne Medium des Fortschreitens der Menschheit zu einer gemeinsamen Zukunft sein, so gilt es, dies in den Leitlinien der Veranstaltung selbst festzuhalten. Das Twin-City-Konzept erscheint als zentrale Botschaft einer solchen Definition. Auch wenn es zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bandes noch nicht völlig sicher ist, ob eine gemeinsame Abhaltung der Expo '95 in Wien und Budapest tatsächlich möglich ist, so bleibt doch bestehen, daß die Idee einer vollkommen neuartigen Kooperation zweier Städte mit wesentlichen Unterschieden in ihrer jüngeren Geschichte ein deutliches Signal zur Zusammenarbeit darstellt, zu einer positiven Konkurrenz der Städte, die auf gegenseitiger Unterstützung und Befruchtung aufbaut. "Noch lange bevor der blitzartige Umschwung der sanften Revolution Europa so durcheinander gewirbelt hat, waren Wien und Budapest mit dem Expo-Projekt 1995 auf den Plan getreten. Damals in zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, wollten und wollen die beiden Donaumetropolen der Welt 1995 im Rahmen einer Expo zeigen, was es heißt Brücken in die Zukunft zu schlagen" (Hannes Swoboda).

Die Schwierigkeiten, mit denen sich die Budapester Expo-Planer zur Zeit konfrontiert sehen, machen deutlich, daß das Brücken-Motto als Auftrag an die politisch Verantwortlichen in Ost und West noch immer aktuell ist. Die Revolution in den osteuropäischen Ländern hat Mauern niedergerissen und damit die Möglichkeit zu gemeinsamen Aktivitäten geschaffen. Doch zur Realisierung von konkreten Projekten bedarf es der Überbrückung der nach wie vor vorhandenen Gräben, der Errichtung fester Fundamente für die gemeinsame Zukunft. Wenn es nicht gelingt, die Pfeiler in Budapest in der notwendigen Geschwindigkeit zu errichten, so spricht das nicht gegen die Utopie der Weltausstellung in Wien und Budapest, die am Beginn des Projektes stand. Vielmehr gilt es zu überdenken, ob die Kräfte des Partners richtig eingeschätzt wurden, ob Wien alle möglichen Formen der Unterstützung für Budapest ausgeschöpft hat und was aus den Erfahrungen der Expo-Vorbereitung für künftige Projekte der Kooperation mit den Reformländern zu lernen ist.

Die Entscheidung über die Beteiligung Ungarns am Weltausstellungsprojekt kann nur in Budapest fallen. Wien ist gut beraten, sich in diesen Prozeß nicht einzumischen und sich darauf zu beschränken, seine Bereitschaft deutlich zu machen, trotz aller Schwierigkeiten weiterhin am ursprünglichen Konzept festzuhalten. Denn die Entwicklungsmöglichkeiten des Landes Ungarn und der Stadt Budapest sind vielfältig und die Entscheidung für einen bestimmten Weg muß autonom und mit großer Sensibilität gefällt werden. Auch die Revision von Urteilen ist in einem so komplexen Prozeß immer wieder möglich und sinnvoll.

Verschieden heißt verlieren.

Für Wien kann die Unsicherheit in Budapest indes nicht bedeuten, daß die eigenen Pläne von der ungarischen Entscheidung abhängig gemacht werden. Die urbane Entwicklung an der Achse Schwedenplatz-Kagran wird wesentlich durch die Abhaltung der Expo zum geplanten Zeitpunkt bestimmt. Eine Verschiebung, die auf der vagen Hoffnung einer späteren möglichen Kooperation mit Budapest beruht, wäre in dieser Konstellation unverantwortlich. Nicht nur die Veranstaltung läuft dadurch Gefahr unattraktiver zu werden, da vermutlich potentielle Aussteller ihre Anmeldung zurückziehen würden, auch die längerfristigen Ziele der Stadtplanung in diesem Gebiet sind abhängig von einer Vielzahl von Akteuren, zu denen Verantwortliche der öffentlichen Hand ebenso zählen wie private Investoren und auch diejenigen, die beabsichtigen, ihre Wohnung oder ihr Büro in den neu entstehenden Bauten einzurichten. Ihnen allen gegenüber hat sich die Stadt Wien zu einem Zeitplan verpflichtet und das Zögern des Projektpartners enthebt sie nicht der Verantwortung gegenüber der eigenen Entwicklung. Dies macht auch Hannes Swoboda deutlich, wenn er sagt, daß eine klare Haltung Österreichs auch für die Entscheidung in Ungarn die beste Unterstützung ist.

Schrittweise Planung.

Die Expo '95 ist in vielerlei Hinsicht ein widerständiges Projekt; sie wird nicht auf dem Reißbrett entworfen und entsteht nicht auf einer ebenen grünen Wiese. Anhand des Architekten-Wettbewerbes konkretisiert Walter Zschokke die Schwierigkeiten der Planung und die Produktivität, die sich aus diesen ergeben kann: Sowohl die Notwendigkeiten der Stadtentwicklung, die sich in der Wettbewerbsaufgabenstellung niederschlagen (die Expo-Veranstaltung, die Dauernutzung und die Überführung der Gebäude) als auch die Barrieren, die die Natur- und die Stadtlandschaft am Standort bildeten, stellten eine hohe Herausforderung an die teilnehmenden Architekten dar.

Doch  nicht nur sie sind es, die eine nicht-lineare Form der Entwicklung erproben müssen. Die gesamte Weltausstellungsvorbereitung erfolgt schrittweise, über zahlreiche Stationen hinweg, an denen immer wieder Kursänderungen vorgenommen werden. In ihr arbeiten unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Zielsetzungen. Diese Form des Planungsprozesses ist mühsam, oft auch frustrierend, doch – wie auch in anderen Projekten sichtbar wird – noch immer die beste aller Möglichkeiten. Zuviel ist falsch gelaufen in den neugeplanten und errichteten Stadtvierteln, die aus der Feder eines Stadtplaners stammten und direkt vom Zeichenplatz in die Realität verlegt wurden, als daß sich noch Illusionen in diese Form von Stadtentwicklung erhalten würden. Planung am Ende des 20. Jahrhunderts heißt wesentlich auch Verzicht auf Sicherheit, genügend Geduld zu haben, Ideen wachsen zu lassen und Einschränkung des freien Entscheidungsspielraums der Verantwortlichen. Radikal in diese Richtung denkt Wolfgang Amann, wenn er in seinem Beitrag eine Zukunftsvision des Nordbahnhofgeländes entwickelt: "Alles, was sie den späteren Mietern zur Verfügung stellte, war eine gut isolierte Hülle mit Fensterbändern und die sanitären Einrichtungen. Die Wohnungen selbst waren bei einer Höhe von etwa drei Metern und einer Tiefe von bis zu acht Metern völlig unstrukturiert. Die Mieter mußten sich ihre Wohnungen aneignen und konnten die Bauten nach den eigenen Vorstellungen umgestalten".

Wenn die Weltausstellungs-Veranstaltung gelingt, dann wird sie alle Schwierigkeiten der Vorbereitung widerspiegeln, und kein perfektionistisches Ganzes sein, sondern eine Fülle von Anstößen und Aufrissen bieten, die für die Besucher, für die Aussteller, die Planer und Nachnutzer befruchtend wirken. "Bisher verwendete Instrumente und Methoden sind auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Was kann oder soll auf diesen Weg mitgenommen werden, was ist entbehrlich, und was fehlt? Wien und Budapest sollen sich hier exponieren und im Rahmen der Weltausstellung 1995 als Schauorte dieser Überprüfung profilieren" (Leitprogramm der Stadt Wien).

Ebenso wie das Gelände vor der UNO-City die Schwierigkeiten seiner Bebauung immer noch bekunden wird, so werden auch mindestens die österreichischen Beiträge innerhalb der Ausstellung nicht den Eindruck erwecken wollen, daß alle Schwierigkeiten des Umbaus Europas schon gelöst wären. Die Besucher werden sich nicht in ihrem Wien-Klischee bestätigt fühlen, sondern sich mit einer Stadt konfrontiert sehen, die ernsthaft, vorsichtig und nachdenklich versucht, eine unbekannte Zukunft zu bewältigen. Diese Nachdenklichkeit wird die Expo '95 zu dem machen, was sie sein soll – nämlich zu einem wichtigen geistigen Einstieg Wiens in das 21. Jahrhundert.

Dr. Monika Mokre (Jahrgang 1963): Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Handlungsbevollmächtigte des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung (IWS). Forschungsarbeiten in den Bereichen Kulturökonomie, Stadtentwicklung und Stadtplanung. Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in "Perspektiven. Befunde. Positionen", Heft 2 – Weltausstellung