Themen > City Marketing > Große Planungsprozesse: Landeshauptstadt St. Pölten und Expo '95

Internationales Landeshauptstadt-Symposium
2. März 1990, St. Pölten

Planung der neuen Landeshauptstadt
und der Expo '95
Case Study für City Marketing

 Dr. Gerhard Feltl

Sehr geehrte Damen und Herren! 

Mit bisher nie gekanntem Optimismus sind die Österreicher und die Deutschen, vor allem aber auch die Bewohner der bisherigen Ostblock-Staaten, in das Neue Jahr gegangen. Sie sehen ein Jahrzehnt vor sich, in dem sie die Freiheit und Sicherheit eine pluralistische Demokratie aufbauen und ein leistungsfähiges Wirtschaftssystem errichten können. Dieses Jahrzehnt wird, wenn es keinen Rückschlage gibt, als das eigentliche europäische Jahrzehnt in die Geschichte eingehen: An der Schwelle des dritten nach-christlichen Jahrtausends wird die Vision eines vereinigten Kontinents ohne Schlagbäume und Handelsbarrieren sichtbar. 

Mitten in diesem europäischen Jahrzehnt, im Jahr 1995, werden Wien und Budapest Gastgeber für Millionen Besucher aus Europa und Übersee sein. Sie werden durch eine gemeinsame Weltausstellung den Versuch unternehmen, "Brücken in die Zukunft" zu schlagen und die Entwicklung über das Jahr 2000 hinaus darzustellen. 

Das mir gestellte Thema lautet, Parallelen zwischen den beiden großen Projekten – der neuen Landeshauptstadt St. Pölten und der geplanten Weltausstellung 
1995 – aufzuzeigen und eine Zusammenfassung der Überlegungen zu präsentieren, was sich – aus heutiger Sicht – als Zielsetzung der Weltausstellung darstellt: 

-     Das übergeordnete und internationale Ziel der Weltausstellung 1995 ist es, ein Großereignis auszurichten, das den gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts Rechnung trägt sowie zum attraktiven, unvergeßlichen Erlebnis für seine Besucher wird.

-      Im Zeitalter der elektronischen Medien, in dem schon jedes Kind meint, bereits alles im Fernsehen gesehen zu haben, wird die Weltausstellung verdeutlichen müssen, daß die "greifbare" Wirklichkeit anregender und spannender ist als jede mediale Wirklichkeit.

-     Nach einer Periode von "spezialisierten" und "universellen" Ausstellungen wird die Weltausstellung in Wien und Budapest durch die Twin-City-Konzeption die erste wirklich übernationale, die erste wirklich mitteleuropäische Weltausstellung sein. Dieses Konzept eröffnet faszinierende Perspektiven und große Chancen, schafft aber auch eine Reihe von spezifischen Problemen, die durch "Risk-Assessment" analysiert und in Form von Alternativ-Szenarien bei der Projektplanung entsprechend berücksichtigt werden müssen. Dazu zählt auch eine realistische Sicht der Entwicklung beim ungarischen Projektpartner in den kommenden Jahren.

-     Für die Ostregion besteht die Bedeutung der Weltausstellung darin, diese Region wirtschaftlich und in ihrer Infrastruktur an den Standard von West-Österreich und West-Europa heranzuführen, ohne dabei die "danubisch-pannonische" Eigenart zu zerstören.

-      Die Weltausstellung ist aber nicht nur eine internationale Herausforderung für Österreich, sie ist vor allem auch eine Herausforderung für die Bundeshauptstadt Wien: Jede Stadt braucht Symbole, muß Zeichen setzen, um urbanes Selbstbewußtsein entwickeln zu können. Eines der Symbole, an denen sich die Städte und ihre nationalen und internationalen Partner orientieren können, sind Großereignisse wie olympische Spiele oder Weltausstellungen, die Teil einer positiven, in die Zukunft gerichteten städtischen Identität werden können.

Um Ernest Dichter, den berühmten altösterreichischen Motivforscher zu zitieren: "Eine Weltausstellung hinterläßt eine Erbschaft für die Stadt, welche sie beherbergt, und für ihre Besucher. Daher muß sie eine Identifikation mit dem Gebotenen zustande bringen. Jeder Besucher sollte das Gefühl haben, zumindest einen Tag lang in einem neuen Land zu leben, die Sorgen, die Wünsche und auch die Träume anderer Menschen mitzuerleben." 

Das führt zu der Frage, welche Bedeutung haben Großvorhaben wie eine "neue Landeshauptstadt" und eine "Weltausstellung" für die moderne Gesellschaft? 

Eine Stadt zu gründen und eine Weltausstellung zu veranstalten – das heißt große Ziele zu setzen, die große Schritte auslösen, Kräfte mobilisieren, Anstrengungen erfordern, aber auch Zielorientierung ermöglichen. Die Weltausstellung wird dabei "Stadt auf Zeit" sein, St. Pölten eine "Stadt auf Dauer". Beide Jahrhundert-Projekte folgen jedoch der Erkenntnis: Nur wer an die Zukunft glaubt, wird die Gegenwart bewältigen. 

Beide Projekte sind aber auch ökonomische Impulsgeber: Kapital wird in Bewegung gebracht; das ist wichtig, denn nur investiertes Geld trägt Früchte. Stadtgründungs- und Weltausstellungsplanung sind aber auch Impulsgeber für die Kulturpolitik, ein "kreatives Schwungrad", mit dem sich ein Land im internationalen Wettbewerb an die Spitze bringen kann. 

Vielleicht wird sich nun der eine oder andere von Ihnen fragen: Worin liegt der spezifische Grund, die erwähnten Vorteile gerade aus einer Weltausstellung ziehen zu wollen? 

Ein wichtiges Motiv scheint mir das Bedürfnis der Menschen zu sein, Feste zu feiern. Ein Sprichwort besagt: Ein Leben ohne Feste ist wie eine weite Reise ohne Raststätte. Eine Weltausstellung ist solch ein Fest: Sie ist der zeitgemäße Ausdruck einer langen Tradition der Lebensfreude, die auf und bei allen Großereignissen der jeweiligen Epoche ihre Darstellungsform bekam: 

-     so war der antike Marktplatz nicht nur zum Warenaustausch bestimmt, sondern auch für Spiele und Feste aller Art;

-     eine mittelalterliche Warenmesse bot nicht nur Gelegenheit zum Handel, sondern auch zur Unterhaltung;

-     die ersten Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts setzten diese Tradition fort. Heute ist dieses Messe-Element verschwunden. Eine Weltausstellung ist in erster Linie Erlebnis, Wahrnehmung, greifbare Wirklichkeit im Zeitalter der medial vermittelten (und gelegentlich auch verfremdeten) Wirklichkeit.

Wir als Weltausstellungs-Veranstalter wissen aber auch, daß "Fest" und "Erlebnis" Erwartung von Großzügigkeit, von Opulenz hervorrufen: Eine Weltausstellung darf daher kein ärmliches Fest werden, sondern muß ein reichhaltiges Angebot offerieren. 

Eine Weltausstellung – und das ist durchaus eine Fortschreibung der Grundidee der ersten Weltausstellung von 1851 – ist noch immer Leistungsschau der Leistungsgesellschaft. Das heißt freilich nicht (oder nicht mehr), Technik- und Fortschrittsgläubigkeit zu präsentieren. Das bedeutet vielmehr, auch im Rahmen einer Weltausstellung den Spiegel gesellschaftlicher Reflexion anzubieten: Eine Weltausstellung an der Schwelle zum dritten Jahrtausend ist somit eine durchaus selbstkritische Leistungsschau. 

Und wir können nicht von "Leistungsgesellschaft" sprechen, ohne uns das Hauptelement, das diese trägt, bewußt zu machen – die Risikobereitschaft. 

Eine Weltausstellung zu veranstalten, ist Ausdruck dieser Risikobereitschaft, die unsere Wirtschaft stimuliert und antreibt. In einer Zeit, in der die risikofeindlichen Wirtschaftssysteme zusammenbrechen, kommt dieser Risikobereitschaft größte Bedeutung, ja Vorbildwirkung zu. 

Eine Weltausstellung, die in der Vorbereitung und während der Veranstaltung selbst zum Identifikationspunkt werden soll, setzt allerdings Aufbruchstimmung und Optimismus, Zuversicht und Bereitschaft zum Engagement voraus. 

Vor diesem Hintergrund möchte ich Planung und Konzeption der Weltausstellung 1995 in Wien und Budapest erläutern.

Die Expo '95  wird Vision der Zukunft und Vexierbild auf dem Weg ins 21. Jahrhundert sein. Und zwar nicht nur in der Vorstellung der Veranstalter, sondern vor allem der Aussteller – denn diese werden Variationen zum Thema "Brücken in die Zukunft" präsentieren und das ausstellen, was sie unter diesem Thema verstehen. 

Wir schreiben nicht vor, setzen nicht fest, sondern wollen mit diesem Thema stimulieren, Assoziationen auslösen, die Kreativität fördern: Die Weltausstellung 1995 soll ein "Fest der Kreativität" sein. 

Bisweilen wurde in den vergangenen Monaten die Meinung vertreten, das Thema "Brücken in die Zukunft" sei durch die Liberalisierung im bisherigen Ostblock obsolet geworden. Auch das Konzept, (erstmals eine Weltausstellung in zwei Städten, in zwei Ländern mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen abzuhalten) sei durch die Entwicklung überholt worden. 

Das Gegenteil ist der Fall: Das "Brücken-Thema" hat durch die jüngste Entwicklung erst seine reale Vertiefung erfahren. Der Stehsatz von der "Drehscheiben"-Funktion und "Bindeglied"-Stellung zwischen Ost und West war ein visionärer Anspruch, der am Drahtverhau des eisernen Vorhanges hängen geblieben ist. 

Jetzt jedoch können diese Formeln mit konkreten Inhalten erfüllt werden. 

Das Thema "Brücken in die Zukunft" umfaßt als Hauptaussage die Forderung an Gastgeber und Architekten, Aussteller und Sponsoren: Dinge und Ideen zu symbolisieren, sichtbar und erlebbar zu machen, die geeignet sind, einen kühnen aber tragfähigen Übergang von der Gegenwart in die Zukunft zu bilden. 

Dabei ist an alle Gebiete des menschlichen Lebens gedacht, besonders aber an jene, wo es um Fragen der Zukunftsbewältigung geht. 

"Brücke" bedeutet in diesem Zusammenhang auch "Synthese", also die konstruktive Überwindung von Gegensätzen. Die Verbindung von "These" und "Antithese" zu einem neuen, besseren Ganzen. 

Beispiele hiefür sind: 

-        Die Versöhnung von Natur und Technik

-        von Ökologie und Ökonomie

-        Die Wechselwirkung von Markt und Planung

-        Das Zusammenwirken von Wirtschaft und Kultur

-        Die Verbindung des Nützlichen mit dem Schönen

-        Der Ausgleich zwischen High-Tech und High-Touch

-        Die Überwindung der Gegensätze zwischen den Generationen

-        Die Bewältigung des Nord-Süd-Konflikts und

-        Die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, 
   die es auch in der Welt des Jahres 1995 noch geben wird. 

Grundsätzlich geht es also darum, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Menschheit durch die Überwindung bestehender Gegensätze die Herausforderung der Zukunft meistern kann. Das ist das dynamische Hauptelement des Themas "Brücken in die Zukunft". 

Eine solche Interpretation garantiert, daß keine Endzeitvisionen den Besucher einschüchtern. Daß vielmehr – um eine poetische Formulierung von Ernest Dichter zu übernehmen – den Besuchern der Weltausstellung "die wichtige Entdeckung ermöglicht wird, daß es schön ist, zu leben." 

Die Weltausstellung 1995 ist darüber hinaus aber auch Verwirklichung eines konkreten organisatorischen Projektauftrages. Wie weit sind wir damit gekommen, was steht bis Jahresende noch vor? 

Am 14. Dezember 1989 erhielten Wien und Budapest den definitiven Zuschlag durch das Weltausstellungsbüro in Paris. Im Dezember bezog die EXPO-Vienna AG in der Renngasse in der Wiener Innenstadt ihre Büroräumlichkeiten. Mit Jahreswechsel wurde der Kern des Expo-Teams rekrutiert. 

Die wesentlichen Aufgaben für den Gründungsvorstand bis Jahresende sind: 

-     Mitarbeit an der Formulierung eines Leitprogrammes, das die Grundzüge der Stadtentwicklung Wiens entlang der Achse Praterstern-Lasallestraße-Kagran enthält und am 30. März 1990 vom Wiener Gemeinderat beschlossen werden soll.

-     Basierend auf diesem Leitprogramm ist der Baukünstlerische Projektwettbewerb vorzubereiten, der (unter Beteiligung von Architekten aus Österreich und aus Ungarn sowie mit internationalen Zuladungen) zwischen Mitte Mai und Mitte Oktober 1990 stattfinden wird.

-     Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt der EXPO-Vienna AG ist die Ausarbeitung privatwirtschaftlicher Finanzierungskonzepte: Während die Infrastrukturkosten von der öffentlichen Hand getragen werden, ist der Betrieb der Weltausstellung zur Gänze, sind Gebäude und Anlagen auf dem Weltausstellungs-Areal soweit wie möglich privatwirtschaftlich zu finanzieren.

Mit der Suche nach privaten Investoren ist die Lösung der Nachnutzungsfrage untrennbar verbunden – entsprechende Konzepte sind den politischen Entscheidungsträgern bis Jahresmitte 1990 zu präsentieren.

Wir haben in dieser Frage Kontakt mit verschiedenen internationalen und nationalen Beratungs- und Finanzierungsgruppen aufgenommen und bereits zahlreiche Gespräche mit potentiellen Investoren geführt.

-     Eine weitere wichtige Entscheidung für die Weltausstellung 1995 betrifft die Vergabe des Werbe-Etats. Bei einem zweistufigen Präsentationsverfahren wurde (aufgrund der einstimmigen Empfehlung einer international zusammengesetzten Jury) die Agentur GREY Austria an die Spitze gereiht, die seitens Österreich den Werbe-Etat für die Weltausstellung betreuen soll.

-     Mitte Jänner hat in Graz die konstituierende Sitzung der Österreich-Ungarischen Regierungskommission stattgefunden. Anfang März findet das nächste Treffen statt: Dabei wird die gemeinsame Vorgangsweise in einer Reihe von wichtigen Fragen (wie Auswahlverfahren für das Logo der Weltausstellung oder Abstimmung der gemeinsamen Marketing-Aktivitäten) auf der Tagesordnung stehen.

-     Eine wichtige Erfolgsvoraussetzung wurde bereits erreicht – ein durchwegs positives Meinungsklima für die Weltausstellung. Ich darf die neuesten Zahlen aus einer österreichweiten TRICONSULT-Umfrage bekanntgeben: 

-          87 % der Österreicher wissen, daß in Wien eine Weltausstellung stattfinden wird.

-          80 % der Österreicher halten die EXPO für gut oder sehr gut.

-          66 % wollen die EXPO in Wien besuchen.

-          76 % der potentiellen Besucher gaben als Motiv für ihren Besuch an,
      "ein einmaliges Erlebnis" zu erwarten.

-          74 % sehen in der Förderung des Fremdenverkehrs ein wichtiges 
      Argument für die Abhaltung der Weltausstellung,

-          69 % sehen darin einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung.

Für Niederösterreich ein zusätzliches, interessantes Ergebnis: 

-     46 % jener Besucher, die aus einem Umkreis von mehr als 50 km zur Weltausstellung anreisen, wollen den geplanten Nationalpark bei Hainburg besuchen.

Die ungarischen Zahlen zum Thema Weltausstellung:

-    95 % der Ungarn wissen über die Weltausstellung Bescheid,

-    80 % stehen dem Projekt positiv gegenüber.

Ein schöner Kommunikationserfolg sowohl in Österreich als auch in Ungarn, der auch den Stellenwert vereinzelter kritischer Medienberichte relativiert. Außerdem zeigt er deutlich, daß Ungarn an Interesse und positiver Einstellung mit den Österreichern durchaus mithalten kann. 

Sehr geehrte Damen und Herren! 

Es wird eine Weltausstellung in Wien und eine neue Landeshauptstadt St. Pölten geben. Sie werden nicht nebeneinander groß werden, sondern zusammen aufwachsen – weil zwischen den beiden Projekten große strukturelle Ähnlichkeiten bestehen: 

Beide Projekte 

-          waren und sind Gegenstand der demokratischen Willensbildung,

-          sind politische Mega-Entscheidungen, die von den großen politischen 
     Kräften des Landes getragen werden,

-          sind in ihrem Erfolg extrem marketing-abhängig,

-          sind historische Großereignisse und gleichzeitig Gegenstand der 
     Selbstreflexion eines Landes und einer Stadt. 

 

Damit komme ich zum vierten Teil meiner Ausführungen: Worin kann die wechselseitige Förderung dieser strukturell so ähnlichen Vorhaben bestehen? Was können wir Ihnen, was können Sie uns geben? Lassen Sie mich dabei mit einer Wunschliste an Niederösterreich beginnen: 

Wir begrüßen die Überlegungen des Landes Niederösterreich mit einem eigenen Pavillon auf der Expo präsent zu sein. Im Pavillon und auf dem Expo-Gelände könnten wir attraktive, von Niederösterreich gestaltete Darbietungen unserem Gesamtkonzept wesentliche Impulse geben. 

Weiters rechnen wir mit interessanten touristischen Ergänzungs-Attraktionen im Umland der Expo. Diese Projekte (vom Archäologiepark Carnuntum über die Schlösserstraße im Marchfeld bis zur Habsburgerstraße von Dürnkruth nach Eckartsau) könnten attraktive Ergänzungen zu den Sehenswürdigkeiten in Wien bieten. 

Dies setzt freilich voraus, daß sie sich von ihren Terminen, Programmen, von ihrem Ausstellungsinhalt und ihrer Werbestrategie in die Expo-Konzeption einbinden lassen. 

Unter "Einbindung" könnten wir uns vorstellen, daß die vorhin erwähnten Projekte ein – lassen Sie es mich salopp formulieren – "Expo-Siegel" erhalten, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden. 

Diese Kriterien wollen wir gerne mit Ihnen gemeinsam ausarbeiten. Entscheidend sollte jedenfalls der inhaltliche Bezug einer Veranstaltung oder Ausstellung zum Weltausstellungs-Thema sowie die zukunftsweisende Art der Präsentation sein. 

Um gleich unsere Gegenleistung zu nennen: Für eine mit dem "Expo-Siegel" versehene Veranstaltung werden wir im Rahmen der Expo-Werbung kräftig die Trommel rühren. 

Ich möchte am Beispiel der Marchfeld-Schlösser illustrieren, wie wir uns eine inhaltliche Abstimmung vorstellen könnten: Nicht als beliebige Ausstellung etwa über das Jagdwesen, sondern als (vielleicht von Regisseuren und Bühnenbildnern mit Diarahmen, Spielszenen und "Son et Lumière" gestaltete) Schau über die Zukunft der Naturlandschaft und der Jagd. Darüber hinaus könnte das Thema "Revitalisierung" sowie "Neue Ausstellungsformen und Präsentationstechniken" richtungsweisend präsentiert werden. 

Auch der Brückenschlag mit den unmittelbaren Nachbarn scheint gerade für niederösterreichische Ausstellungen und Veranstaltungen prädestiniert, etwa im Rahmen einer von tschechischen, ungarischen und niederösterreichischen Ausstellern gemeinsam konzipierten Schau über die zukünftigen ökologischen Projekte des Donau-March-Thaya-Raumes. 

Wozu wir in Niederösterreich herzlich einladen, das ist das Ideenreservoir für die Entwicklung dieser Konzepte bereit zu stellen; was wir benötigen, ist die aktive Mitarbeit, eine Pro-Expo-Stimmung, ein positives Meinungsklima in diesem für uns wichtigen Bundesland. 

Aufgrund der jüngsten weltpolitischen Ereignisse in Osteuropa wurden die Prognosen für die Besucherzahlen kräftig nach oben revidiert. Wir rechnen derzeit mit rund 20 Mio. Weltausstellungs-Besuchen. Die Kapazitäten des Gastgewerbes und der Hotellerie in Niederösterreich sind für die Unterbringung dieser Touristenströme ganz entscheidend. 

Eine weitere Anmerkung in Sachen Fremdenverkehr: Hier zählen wir insbesondere auf die Kooperationsbereitschaft der niederösterreichischen Behörden 

-          bei der Verkehrs- und Infrastrukturplanung für die Expo

-          bei der Verwirklichung des Park-and-Ride-Konzeptes

-          bei der Tourismuswerbung. 

Gerade letztere zeigt, daß Kooperation für uns beide vorteilhaft sein kann: Die Weltausstellung wird nicht nur für Wien, sondern für alle Bundesländer direkt und indirekt werben. Umgekehrt könnten die Bundesländer in ihrer Fremdenverkehrswerbung auch die Expo "mittransportieren". 

Was aber ist die Gegenleistung der Expo? Was gibt die Weltausstellung der Ostregion und der neuen Landeshauptstadt St. Pölten? 

Die Weltausstellung als Ereignis bietet neue Attraktionen und neue Freizeit-Ziele. Sie offeriert breitenwirksame Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Sie wird Magnet sein, der anzieht – nicht ein Schwamm, der das Land um Wien auslaugt. 

Als politischer Faktor gibt die Expo gerade der Ostregion eine neue Funktion gegenüber Osteuropa. Sie wandelt sich durch dieses Großereignis vom Kopfbahnhof zum Brückenkopf. Über diesen Brückenkopf strömen Menschen, Ideen und Waren nach Österreich und Westeuropa. 

Ein weiterer politischer Faktor wird die Steigerung des Selbstbewußtseins der Länder, insbesondere der Ostregion (auch gegenüber der Westregion) sein. Die gemeinsame Zielbewältigung wirkt damit auch sozial integrativ. 

Als temporärer Verkehrsmittelpunkt ist die Expo schon jetzt Zugpferd für den beschleunigten Ausbau der Verkehrssysteme und Infrastruktur-Einrichtungen. 

Die Expo ist aber auch Impulsgeber im Fremdenverkehr. Wir wissen, daß die Menschen in den Industrieländern immer mehr Freizeit haben werden, auch mehr Geld für Reisen und Urlaub. Andererseits bietet gerade Niederösterreich saubere Luft, klares Wasser, landschaftliche und kulturelle Schönheiten – alles Werte, die in vielen anderen Industriestaaten bald nicht mehr vorhanden sein werden. 

Die für den Expo-Erfolg erforderlichen Besucher können wir nur dann mobilisieren, wenn ein Gutteil der im Sommerhalbjahr 1995 nach Österreich auf Urlaub kommenden Ausländer auch einen Abstecher zur Weltausstellung nach Wien einplant. Daraus eröffnet sich aber in umgekehrter Richtung für die gesamtösterreichische Fremdenverkehrswirtschaft eine große Chance. Das setzt allerdings voraus, daß die Fremdenverkehrswirtschaft und die Expo-Verantwortlichen möglichst früh mit der gemeinsamen Planung beginnen: Dem ausländischen Österreich-Besucher muß von Anfang an ein Expo-Offert angeboten werden. Umgekehrt muß der Expo-Besucher durch ein Offert für einen Aufenthalt in den Bundesländern motiviert werden. 

Darüber hinaus bietet das "Twin-City-Konzept" neue Möglichkeiten für die Ostregion: Wenn wir rechtzeitig an den Werbeaktivitäten unseres ungarischen Partners partizipieren, werden wir auch von jenem ausländischen Besucherstrom einen guten Teil nach Wien, Niederösterreich und Burgenland bringen, der zunächst vielleicht nur Budapest oder Ungarn besuchen wollte. Denken wir nur an die rund 3 Mio. (meist sehr zahlungskräftige) Auslandsungarn, welche die ungarische Fremdenverkehrswerbung für die Weltausstellung in Budapest ansprechen wird. 

Aber auch die Ungarn selbst stellen für die Ostregion einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar: Zu unrecht werden sie bisweilen mit einer gewissen wirtschaftlichen Herablassung betrachtet. Jüngsten WIFO-Schätzungen zufolge dürften die Ungarn 1989 rund 9 Milliarden Schilling in Österreich ausgegeben haben; 6,5 Milliarden waren davon Wareneinkäufe in den Foto- und Elektronikshops. Die Händler verdienten dabei nicht schlecht. Aber auch der Fremdenverkehr, insbesondere in der Ostregion, hat davon profitiert – denn immerhin betrugen auch die Tourismusausgaben rund 2 Milliarden Schilling. 

Die Auslandsfahrten der Ungarn werden voraussichtlich im nächsten Dezennium weiter zunehmen. Ostösterreich als unmittelbarer Nachbar wird davon am meisten profitieren: 1989 nächtigten mehr als 570.000 Ungarn in Österreich; Nächtigungen eines Volkes, das fälschlicherweise nur als Tages-Touristen eingestuft wird! 

Übrigens soll mittlerweile die Hälfte der Semmering-Gäste (wieder) Ungarn sein. Der Semmering und Bad Gastein waren ja noch in der Zwischenkriegszeit die bevorzugten Urlaubsorte der wohlhabenden Budapester Oberschicht. Warum sollte das nicht wieder so werden? 

Die jüngsten Entwicklungen in der Tschechoslowakei erlauben, die am Beispiel der Ungarn entwickelten Gedanken auch auf unser nördliches Nachbarvolk als touristische Chance zu extrapolieren: Wer jetzt in das ungarische und tschechische Touristenpotential investiert, hat in zehn Jahren einen kaufkräftigen und treuen Gast insbesondere für Ostösterreich gewonnen. 

Die Fremdenverkehrswirtschaft ist sozusagen der Transmissions-Riemen, über den die Expo harte positive Wirtschaftseffekte auf die Ostregion Österreichs überträgt. 

Gerade die klein- und mittelbetriebliche Wirtschaft profitiert in ihrer Rolle als Zulieferer von der Belebung der Gastronomie, Hotellerie und durch seine Sehenswürdigkeiten. Diese Belebung wurde auch vom Wirtschaftsforschungsinstitut beziffert: Mit einem ausstellungsbedingten zusätzlichen Volumen von mehr als 12 Millionen Nächtigungen ist im Verlauf von bloß 6 Monaten zu rechnen, das sind 10 % unseres gesamten Jahresvolumen an Nächtigungen und ein entscheidender Nachfragestoß im nicht ganz problemlosen Sommerfremdenverkehr Österreichs. 

Die von den Weltausstellungs-Besuchern getätigten Ausgaben werden auf rund 6 Milliarden Schilling, die touristischen Wertschöpfungs-, Steuer- und Beschäftigungseffekte werden auf rund 30 Milliarden Schilling geschätzt. Die Bundesländer werden über die wirtschaftliche Verflechtung Wiens mit Österreich aber auch indirekt profitieren. Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftsforschung haben ergeben, daß von einem Wien-Besucher ausgegebene öS 1.000,-- nur zur Hälfte in Wien wertschöpfungswirksam werden, zu einem Viertel jedoch in den Bundesländern und zu einem weiteren Viertel im Import. 

Der Ausbau der Infrastruktur anläßlich der Expo wird sich in einem Kostenrahmen von rund 15 Milliarden Schilling bewegen: Ein maßgeblicher Konjunkturimpuls für die Bauwirtschaft, wobei zu vermuten ist, daß auch hier die Betriebe Ostösterreichs eine maßgebliche Rolle spielen werden. Dazu kommen noch rund 4 Milliarden Schilling Investitionskosten am Expo-Gelände sowie 3,5 Milliarden Schilling Betriebs- und Vorbereitungskosten. 

Auch hier wird es direkte Aufträge für die Unternehmen der Ostregion geben. Aber auch die vorhin erwähnten indirekten Effekte durch die gesamtwirtschaftlichen Verflechtungen werden zum Tragen kommen. 

Ich möchte zusammenfassen: 

Nach allen bisher angestellten betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Modellrechnungen kann die Weltausstellung 1995 nicht nur kostendeckend durchgeführt werden. Sie wird auch entscheidende Impulse für den Arbeitsmarkt, für die Bauwirtschaft und für die Fremdenverkehrsindustrie insbesondere der Ostregion geben. Sie wird Österreich ein neues Selbstbewußtsein vermitteln. 

Doch der internationale Impuls, den diese Weltausstellung in Wien und Budapest bedeuten kann, setzt einen nationalen Impuls – nämlich Aufbruchstimmung und Optimismus im eigenen Land – voraus. 

Die österreichweite Identifikation (und darin liegt die Bedeutung von Veranstaltungen wie dieser Tagung) mit der Zielsetzung und Projekt-Planung ist jedoch Grundvoraussetzung für den künftigen Weltausstellungserfolg.

Dr. Gerhard Feltl, Mitglied des Vorstandes der EXPO-VIENNA AG 
03/90 - Internationales Landeshauptstadt-Symposium St. Pölten