Themen > City Marketing > Kulturwirtschaft als Standortchance für Wien

Gerhard Feltl

Wien und Österreich stehen heute für ein Europa, das aus der Schocklähmung der Nachkriegszeit erwacht ist. Freilich mit Blessuren und ausgeprägter Ratlosigkeit: Wir sind glücklich über das Ende der Teilung Europas, und gleichzeitig irritiert über den Verlust unserer alten und vertrauten Rollenzuteilung.

Dieser Konflikt hat eminente politische und wirtschaftliche Auswirkungen, weil es die Haltung der Akteure entscheidend prägt: Wien bietet heute Sicherheit und Lebensqualität, freilich auf Kosten von Aufbruchsstimmung und Dynamik. Und erst jüngst hat Dietmar Steiner, der Leiter des ArchitekturZentrums Wien, trocken diagnostiziert, Wien "würde Gefahr laufen, in den nächsten Jahren zu einem denkmalgeschützten Museum der mitteleuropäischen Idee zu erstarren".

Das aktuelle Unbehagen an der Politik hat auch darin seine Wurzeln: Wir leben in dieser Stadt in funktionierenden Abhängigkeiten, und wollen durch keinerlei Veränderungen darin gestört werden. Doch die patrimonialen Abschirmungen funktionieren nicht mehr - von den ökologischen Bedrohungen bis zu den Verbrechen der Ost-Mafia, vom Transitverkehr bis zu den Briefbomben wird offenkundig, daß es der Politik nicht mehr gelingt, die "Insel der Seligen" von diesen Entwicklungen abzuschirmen. Und diese täglich erlebbare Ohnmacht der Politik verstärkt beides gleichzeitig - die Abhängigkeit, ebenso wie das Unbehagen.

Derartige Widersprüche lassen sich weder durch parteipolitische Ranküne noch durch tagespolitischen Aktionismus überwinden. Sie sind weder über Mehrheitsentscheide, noch über Volksabstimmungen zu regeln. Auch die medialen Ordnungsrufe prominenter Ex-Politiker können daran nichts ändern. Denn Dynamik läßt sich nicht politisch verordnen und auch nicht emphatisch herbeischreiben. Sie entsteht vielmehr im kreativen Umfeld, das attraktiv für Investoren, Zukunftsbranchen und leistungsbereite Menschen wirkt.

Was Wien daher benötigt, sind Konzepte einer offensiven Struktur- und Standortpolitik und eine grundsätzliche Diskussion über die Positionierung dieser Stadt im europäischen Konkurrenzumfeld. Und dieses Umfeld ist nicht London, Paris oder Berlin, sondern Mailand, Budapest oder Prag.

Nach einer Überlegung des amerikanischen Arbeitsministers Robert B. Reich wird die Zukunft der Arbeit in drei Kategorien stattfinden: Als Routinearbeit in der Produktion, als persönliche Dienstleistung sowie als symbolisch-analytische Dienstleistung. Die beiden ersten Bereiche sind eher einfache (und zunehmend schlecht bezahlte) Arbeit, die dritte Kategorie hat mit Problemlösung im weitesten Sinne zu tun und ist von hoher Wertschöpfung.

Diese Arbeit wird geleistet von Rechtsanwälten und Maklern, Werbe- und Marketingfachleuten, Designern, Verlegern, Journalisten, Organisationsspezialisten, Computerfachleuten, Softwareingenieuren, Regisseuren, Fernseh- und Filmproduzenten, Marktforschern, Biotechnikern und Grundlagenforschern.

Die rein quantitative Bedeutung dieses Sektors, der oftmals unter dem Begriff "Kulturwirtschaft" subsumiert wird, läßt sich sehr gut am Beispiel von Berlin illustrieren, wo der Bereich Kulturproduktion und Kulturdistribution mit rund 45.000 Beschäftigten zu den größten Dienstleistungsbranchen der Stadt gehört. Im Vergleich dazu arbeiten in den Banken und Versicherungen der Deutschen Hauptstadt nur etwa 34.000 Personen.

Eine umfassende Untersuchung des österreichischen Wirtschaftsforschungs-Instituts aus dem Jahr 1995 betont gleichfalls, daß Kulturwirtschaft in Zukunft als wichtiger und eigenständiger Wirtschaftsbereich anzusehen ist, dem "neben bedeutenden Wachstumspotentialen auch herausragende Bedeutung für die Standortattraktivität einer Metropole zukommt".

Hochwertige Kulturproduktion steht demnach nicht nur in direktem Zusammenhang mit der Verfügbarkeit hochwertigen Humankapitals, sondern schafft darüber hinaus auch "ein Klima der Kreativität, der wechselnden Betrachtungsweisen und damit der sozialen Innovation - ein Milieu der geistigen Beweglichkeit, in der auch ökonomische Innovationen besser und häufiger gedeihen".

Kulturwirtschaft bildet damit einen konstitutiven Bestandteil jener geistigen Infrastruktur, welche Flexibilität und Mobilität einer Stadtwirtschaft gerade unter sich rasch ändernden Rahmenbedingungen garantieren. Zukunftsorientierte Standort- und Strukturpolitik muß sich daher auf diesen Bereich konzentrieren.

Wien war immer schon eine Stadt der "begrenzten Unmöglichkeiten". Was also hindert uns daran, Wien neuerlich zum Kompetenz-Zentrum im Bereich von brainware zu machen? Die Voraussetzungen dafür sind gegeben, das kreative Potential ist heute vorhanden.

Dazu bedarf es allerdings der Entwicklung von Leitprojekten, welche das in dieser Stadt beheimatete kreative Humankapital stimulieren. Solche Projekte als Bestandteil eines umfassenden City-Marketing-Konzeptes für Wien könnten dazu beitragen, die Binnenmentalität des Binnenlandes Österreich zu überwinden und einen offensiven Entwicklungsschub in der Wiener Standortpolitik auszulösen.

Seit der fatalen Absage der Expo '95 durch Volksbefragung gibt es in der österreichischen Hauptstadt kein Projekt mehr, das imstande wäre, eine entsprechende Sogwirkung zu entfalten. Die Entwicklung derartiger Projekte ist jedoch eine zentrale kulturpolitische Aufgabe, welche über die bloße Subventionierung von Kunst weit hinausgehen muß. Im Rahmen dieses kurzen Beitrages sollen dazu zwei Projekte angesprochen werden:

  • Ausbau der Filmstadt Wien zu einem internationalen Produktions- und Dienstleistungszentrum durch geeignete strukturpolitische Maßnahmen und eine Änderung der gegenwärtigen Förderungspolitik. Damit könnten innerhalb der kommenden Jahre rund 3.000 hochwertige Arbeitsplätze gesichert bzw. neu geschaffen werden. Ein entsprechender Vorschlag standortpolitischer Maßnahmen wurde auf Initiative der österreichischen Filmwirtschaft und mit Unterstützung der Wirtschaftskammer erarbeitet und wird demnächst unter dem Titel "stand:bild 3" publiziert.
  • Gründung eines Europäischen Kompetenz-Zentrums für Design ("New College of Design, Europe"), welches vor allem Entwicklungs- und Ausbildungsaufgaben auch in Richtung Reformländer übernehmen und darüber hinaus dem österreichischen Design als europäische Marketingplattform zur Verfügung stehen könnte. Die Chancen, eine derartige Ausbildungsstätte gegen internationale Konkurrenz nach Wien zu bringen, sind durchaus gegeben. Ein konkreter Projektvorschlag wurde vom Österreichischen Institut für Formgebung (ÖIF) bereits an die zuständigen Ministerien sowie an die Stadt Wien übermittelt.
05/98 - Dr. Gerhard Feltl ist Geschäftsführer des Kommunikationskonzerns IWG-Holding, Präsident des Österreichischen Instituts für Formgebung (ÖIF), Vizepräsident der Wiener Festwochen sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg.