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9 Thesen zum Verhältnis von Wirtschaft und Design

Gerhard Feltl

Design ist ein Zeitgeist-Thema. Jedenfalls, wenn es nach den Hochglanz-Strecken in einschlägigen Magazinen und nach den Verkaufserfolgen in den entsprechenden Einrichtungs-Boutiquen geht. Und wer kennt nicht Charles Eames, Eileen Gray, Mario Bellini, Castiglioni, Colani, Sottsass und all die anderen Mega-Stars, wer hat nicht durch den Erwerb der einen oder anderen Creation sein Lebensgefühl oder sein Wohnambiente aufgewertet?

Dennoch steckt Design, zumindest in Österreich, in einer Dauerkrise. An der grundsätzlichen Frontstellung zwischen Designern und Unternehmern hat sich wenig geändert. Werden die einen nicht müde zu propagieren, dass Design der entscheidende Wettbewerbsfaktor ist, so halten andere die Designer vielfach für Lebenskünstler, die viel Geld und Ressourcen kosten und bewährte Produktionsprozesse über den Haufen werfen. Allen Harmonisierungs-Versuchen zum Trotz ist dieser Widerspruch tiefgreifend, aber auch verständlich und legitim: Designer wollen mit ihren Schöpfungen ins "Museum of Modern Art" oder zumindest eine Auszeichnung bei der "Design Triennale Innoventa". Unternehmen wollen dagegen Umsatzsteigerung, Gewinnoptimierung und Erfolg am "point of sale".

 Profitiert haben von dieser Patt-Situation jene, welche die immer rascher aufeinander folgenden Trendwellen instinktsicher für sich zu nutzen verstanden. Je nach Bedarf als Ästhetik-Gurus, Innovations-Bringer, Ergonomie-Freaks oder Öko-Priester ausgeschildert, haben sie dazu beigetragen, einen Erlebnisboom auszulösen, der - wie Bazon Brock freilich polemisch kritisierte - vielfach zu "Stilgepansche, Gestaltungswirrwarr, lebensfeindlicher Sprachlosigkeit und gestalterischer Umweltverschmutzung" geführt hat. Statt Markenprofilen wurden geschickt Designerprofile aufgebaut.

 Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Beziehung zwischen Wirtschaft und Design vielfach eine Geschichte wechselseitiger Mißverständnisse war. Daher möchte ich an dieser Stelle neun Thesen als Beitrag für den notwendigen Dialog zwischen Designern und Unternehmern formulieren:

1. "Gestaltung ist nicht alles, aber ohne Gestaltung ist alles nichts". Unsere Welt ist in immer stärkerem Ausmaß eine Produktwelt. Ob wir das wahrhaben wollen oder nicht - unsere Welt ist nicht mehr ausschließlich natürlich gewachsen, sondern von Menschenhand gestaltet und "in Form gebracht".

2.  Design ist ganzheitlich zu sehen. Designer tragen somit auch Verantwortung für die Industriekultur. Sie sind mitverantwortlich dafür, welche Produkte auf den Markt kommen, für welchen Verwendungszweck die Produkte konzipiert sind und welche Konsumgewohnheiten mit diesen Produkten gefördert bzw. verhindert werden.

3. Die Kriterien für gutes oder schlechtes Design sind entwickelbar, diskutierbar. Das mag mühsam sein, ist aber unverzichtbar. Die postmoderne Formel "anything goes" ist Ausdruck kultureller Beziehungslosigkeit gegenüber dem Auftraggeber und gegenüber dem Konsumenten.

4. Am Anfang des Gestaltungsprozesses steht nicht die Formidee, sondern ein Problem des Alltagslebens. Design ist 
die durchdachte, manchmal innovative Problemlösung. Die zu Recht vielgerühmte "Tizio" von Richard Sapper wurde von ihm konzipiert, weil er nur wenig Platz am Schreibtisch hatte und eine Lichtquelle suchte, die er flexibel und möglichst nahe am Kopf plazieren wollte, ohne davon geblendet zu werden. In welchem österreichischen Unternehmen beschäftigt man sich systematisch mit derlei Fragen des alltäglichen Gebrauchs?

5. Design muß dem Produkt dienen. Erfolgreiche Beispiele zeigen, dass der Grundnutzen nicht vernachlässigt werden darf. Die von Shozo Toyohisa für Olympus entwickelte "mju:1"-Kamera ist nicht nur klein und leicht, sondern auch einfach und mit einer Hand zu bedienen.

 Der beklagte Rückstand in Forschung und Entwicklung kommt auch daher, dass vielfach mehr über Form geredet wurde als über Inhalte. Das Ergebnis waren gestylte Produkte, bisweilen ohne "ease of use".

6. Aber auch Unternehmen haben vielfach falsche Designerwartungen. Natürlich denken Firmenchefs weniger an Urkunden und an Staatspreise als an Umsätze. Und Allerweltsprodukte bekommen durch Design keine bessere Qualität. Als modische Behübschung eingesetzt, kann Design sogar mehr schaden als nützen.

7. In seiner Analyse "Produkt 2000" beschreibt Manfred Bruhn Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die künftige Produktpolitik - nämlich Natürlichkeit und Gesundheit, Sicherheit und technologischer Fortschritt, Umweltverträglichkeit und Energiebewußtsein, Individualität und Selbstverwirklichung, Vereinfachung und Entlastung, soziale Verträglichkeit und demonstrative Vernunft, Erlebnisorientierung und emotionale Ansprache.

8. Design ist somit kein Apercu, sondern muß als zentrales Element des Herstellungsprozesses eingesetzt werden. Bewußtes Gestalten ist wesentliche Voraussetzung für die Markt- und Konkurrenzfähigkeit von Produkten. Das konsequente Bemühen um die Qualitätsverbesserung der Produktwelt ist daher unverzichtbar für die Zukunftssicherung 
von Unternehmen.

Im Designland Japan ist dies selbstverständlich. So arbeiten bei Panasonic rund 500 Mitarbeiter, bei Toyota rund 600, bei Sony gar 2.500 Mitarbeiter in den Bereichen Produktentwicklung und Design. Welches österreichische Unternehmen würde da mithalten?

9. Investitionen in Design geben nur längerfristig Sinn, Kooperationserfolge stellen sich erst nach Jahren ein. Bei Alessi wurde beispielsweise 16 Jahre lang an einer bestimmten Besteckserie gearbeitet. Welches Unternehmen ist hierzulande  zu einer derartig langfristig konzipierten Entwicklungsarbeit bereit und in der Lage?

 Die Möglichkeit für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Design sind auch in Österreich vorhanden. Sie müssen allerdings genutzt  werden. Dafür ist es auch notwendig, Berührungsängste abzubauen und die Bereitschaft zu langfristigen Kooperationen zu verstärken - das Österreichische Institut für Formgebung wurde als eine Clearingstelle und Service-Einrichtung für diesen Dialog zwischen Wirtschaft und Designern gegründet.  

08/97 - Dr. Gerhard Feltl ist Präsident des Österreichischen Institut für Formgebung (ÖIF)