Themen > Design > Design - Eine Zukunftschance für Österreich

Gerhard Feltl

Die Zukunft eines Landes entscheidet sich nicht nur durch die Qualität von Verkehrswegen, Telekommunikationseinrichtungen und Beherbergungsbetrieben, sondern insbesondere durch die Qualität seiner schöpferischen Infrastruktur. Hier haben wir im Vergleich mit anderen Staaten Europas großen Nachholbedarf. Die Republik Österreich gibt derzeit für die Förderung der "Verkehrswege des Gehirns" pro Jahr nicht mehr Geld aus, als der Bau von etwa 10 km Autobahn kostet. 

Auch die angekündigte Technologie-Offensive der Koalitionsregierung ist in vielen Bereichen nur ein Nachziehverfahren - ohne überzeugende offensive Ideen. Dabei hat Österreich gerade im Forschungsbereich deutlichen Aufholbedarf: auf 1.000 Erwerbstätige kommen hierzulande lediglich 3,5 Wissenschaftler und Ingenieure. Damit liegt Österreich an drittletzter Stelle in der EU. Spitzenreiter sind Finnland und Deutschland (6,1), gefolgt von Schweden (5,9). Auch bei den Mitteln zur Forschungsförderung aus dem öffentlichen Haushalt liegt Österreich mit 0,64 % des BIP deutlich unter dem EU-Durchschnitt (0,92 %).  

Von einem europäischen Parlamentarier wurde diese Innovations-Misere auf eine knappe Formel gebracht: die Österreicher protegieren, die anderen Europäer patentieren, und die Japaner und Amerikaner produzieren und kassieren. 

Die Sicherung des "Wirtschaftsstandortes Österreich" kann freilich nur dann gelingen, wenn die Politik auch hierzulande bereit ist, den Standortfaktor Kreativität ernst zu nehmen. Diese Aufbruchsstimmung, dieser Pioniergeist und dieser Wagemut sind einzufordern, um den Weg vom Fürsorge- und Umverteilungsstaat hin zum Wertschöpfungsstaat in den kommenden Jahren zu bewältigen. 

Im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten hat das Österreichische Institut für Formgebung (ÖIF) vor kurzem eine repräsentative Befragung in der Altersgruppe 14 bis 29 Jahren durchgeführt: für die deutliche Mehrheit der österreichischen Bevölkerung dieser Altersgruppe ist Design immer noch die modische, ästhetisch ansprechende Gestaltung bzw. Verpackung von Produkten.

Ausschlaggebend für den Erwerb von Design-Produkten ist demnach die optische Ästhetik und die modische Gestaltung - erst dann folgen Funktionalität sowie das Preisargument. 

Auf die Frage "Sind Ihnen irgendwelche österreichischen Designer bekannt?" werden am häufigsten genannt: Friedensreich Hundertwasser, Hans Hollein sowie Helmut Lang. 60 % können überhaupt keinen Designer nennen. Bei internationalen Designern dominiert wiederum die Modebranche: Karl Lagerfeld vor Wolfgang Joop und Jean-Paul Gaultier. Philippe Starck konnte sich als Nicht-Modeschöpfer immerhin auf Platz vier behaupten. 

Die Schlußfolgerung: Der Begriff Design wird hierzulande signifikant in Richtung Mode artikuliert. Auf Funktionalität, Umweltfreundlichkeit oder Benutzerfreundlichkeit wird offensichtlich weniger Wert gelegt. Dieses Design-Verständnis wird wesentlich durch Berichterstattung und Werbung in den Medien geprägt. Immerhin geben 89 % der Jugendlichen an, in der Medienberichterstattung auf den Begriff Design gestoßen zu sein. 

Auch das österreichische Gallup-Institut führte im Jahr 1993 im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich eine Umfrage zur Erhebung der Einstellung österreichischer Unternehmer zum Wirtschaftsfaktor Design durch: das Ergebnis zeigt, daß Produktdesign als Unternehmensaufgabe eine im Vergleich relativ geringe Bedeutung zugeordnet wird. Nach wie vor scheinen die österreichischen Unternehmen vorwiegend produktions- und technikorientiert zu sein. Marketing und Produktdesign als markt- und kundenorientierte Aufgabenbereiche werden nach wie vor als weniger wichtig bewertet (als die nach ihnen gerichteten Unternehmensaufgaben wie Produktion, Konstruktion und Technik). 

Auf die Frage, wieviele Produkte in der österreichischen produzierenden Industrie mit Hilfe eines ausgebildeten Industrial Designers entwickelt werden, gaben nur 7 % der Unternehmen an, ihre Produkte in überwiegender Anzahl gemeinsam mit einem Designer zu entwickeln. 28 % entwickeln zumindest einige Produkte mit einem Designer. Aber 64 % der befragten Unternehmen setzen bei der Entwicklung von Produkten überhaupt keinen Designer ein.  

Die vom Wirtschaftsförderungsinstitut publizierte Studie "Design 2000" hat im Designbereich eine Reihe von Parallelaktivitäten sowie Koordinations- und Organisationsmängel konstatiert, welche dazu führen, daß die vorhandenen und ohnedies knappen Förderungsmittel nicht effizient genug eingesetzt werden können. Die Problematik liegt gemäß dieser Studie darin, daß "Design als marktstrategischer Faktor im Strukturwandelprozeß, vor allem von den politischen Entscheidungsträgern, nur ungenügend beachtet und genutzt wird". Design müßte vielmehr als "Treibstoffzusatz" gesehen werden, der diesen Strukturwandel beschleunigen kann, darüber hinaus sei Design aber auch als Medium der Kommunikation kultureller Werte und Identitäten unverzichtbar.

Design ist freilich hierzulande kein öffentliches Thema, kein breitenwirksames Anliegen und auch kein Oppositionsargument. Wenngleich im vergangenen Jahr alleine in Europa unter dem Titel Kulturwirtschaft und Design rund 106 Milliarden Schilling erwirtschaftet wurden, ist das Design-Bewußtsein unterentwickelt, eine koordinierte Design-Politik weit und breit nicht erkennbar und das Volumen einschlägiger Förderungsmaßnahmen bestenfalls als symbolisch zu bezeichnen. 

"Die Bausteine der Umwelt sind weder der Mensch noch die Dinge, sondern die unsichtbaren Regeln der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse". Ein Vierteljahrhundert nach diesem visionären Statement des Kulturphilosophen und Design-Theoretikers Lucius Burckhardt postuliert die Havard-Professorin Elisabeth Moss-Kantor einen Paradigmen-Wechsel des Wirtschaftens, wonach der Erfolg eines Unternehmens in Zukunft nicht mehr auf den traditionellen Kriterien Kapitalausstattung, Technologie und Personal beruht, sondern sich aus den immateriellen Ressourcen concepts, competence and connections zusammensetzen wird. 

Beide Einsichten verweisen auf die Notwendigkeit, den Strukturmerkmalen des postindustriellen Zeitalters mit neuen und unkonventionellen Lösungen zu begegnen. Gesättigte Märkte, technologische Patt-Situationen und das Verschwinden von Qualitätsunterschieden schaffen völlig neue Voraussetzungen für Arbeit und für industrielle Produktion. Aber auch bislang kaum hinterfragte Instrumentarien wie Exportförderung oder Standortpolitik müssen angesichts dieser Entwicklungen neu überdacht werden.

Die OECD bezeichnet die Konkurrenzfähigkeit eines Landes als "das Maß, in welchem ein Land unter freien und fairen wirtschaftlichen Bedingungen Güter produzieren und Leistungen, die den Erwartungen des internationalen Marktes entsprechen, erbringen und gleichzeitig das reale Einkommen seiner Bewohner langfristig erhalten und steigern kann".  

Der Versuch, rein auf Kostenbasis zu konkurrieren, ist angesichts einer zunehmend hochentwickelten Produktionsfähigkeit innerhalb neuer Industrieländer eine möglicherweise selbstzerstörerische Strategie. Gesucht werden also neue Wege zur Wertsteigerung

Design ist eine dieser von Moss-Kantor apostrophierten Ressourcen. Nicht nur zur Gestaltung ansprechender Produkte, sondern vor allem als Instrument, um Ideen in die Realität umzusetzen. Um Imagination beim Formulieren von Entwürfen zu entwickeln. Aus diesem Grunde könnte Design im Strukturwandel der Wirtschaft eine Schlüsselfunktion einnehmen - wenn es gelingt, den notwendigen Umdenkprozeß nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in den Schaltzentralen und in den Amtsstuben der Politik einzuleiten.

Der italienische Designer und Publizist Andrea Branzi hat erst jüngst daran erinnert, daß Kulturwirtschaft und Design ihre Rolle als Produzenten neuer Entwicklungsszenarien, neuer Visionen und neuer Produktionsstrategien zurückgewinnen müssen. 

Wenn in Umkehrung des Marx'schen Diktums heute das Bewußtsein das Sein bestimmt, dann ist es Aufgabe der Kultur, die Politik zu leiten - und nicht umgekehrt. Durch den Transfer der Kunstagenden in das Bundeskanzleramt besteht die Chance, notwendige Weichenstellungen vorzunehmen. Mit politischem Gestaltungswillen Kulturwirtschaft und Design als Innovationsfaktor innerhalb der Technologiepolitik zu begreifen. Und solcherart den für unser Land dringend benötigten Reformschub endlich auszulösen.

11/97 - Dr. Gerhard Feltl ist Geschäftsführer des Kommunikationskonzerns IWG-Holding, Präsident des Österreichischen Instituts für Formgebung (ÖIF), Vizepräsident der Wiener Festwochen sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg.