Themen > Kommunikation > Eine zweite Chance für Bill Gates

Gerhard Feltl

Österreichs Technologiepolitik, neuerdings euphorisch als Technologieoffensive angepriesen, wird immer mehr zur Fata Morgana. Bereits im Februar dieses Jahres lag ein Konzept mit Vorschlägen zur Reorganisation der Förderungspolitik und mit Ansätzen zur grundlegenden Neuorientierung vor. Leider wurde die Implementierung dieser Vorschläge interessenspolitisch abgewickelt. Die Folge war ein erbittertes Gefeilsche um die erste Technologie-Milliarde und eine Millionen-Umwidmung zur Linderung der Budgetnöte im Sozialministerium. Seitdem herrscht Funkstille. 

Welche Chancen hat unser Land überhaupt, mit der High-Tech-Entwicklung mitzuhalten? Sicher ist es eine Illusion zu glauben, Österreich ließe sich durch Telekommunikations-Milliarden einfach zu einem Hochtechnologie-Land empormendeln. Dafür müßten wir zu den rund 36 Milliarden, die wir derzeit für Forschung und technologische Entwicklung ausgeben, zusätzlich mindestens 20 Milliarden Schilling aufbringen, um den EU-Durchschnitt und somit 2 % des Brutto-Inlandsproduktes zu erreichen. Zudem müßten wir dafür sorgen, daß der Großteil dieser öffentlichen Mittel nicht wieder an öffentliche Institutionen zurückfließt, sondern tatsächlich zukunftsorientierten Unternehmen zugute kommt. Selbst Optimisten glauben nicht, daß dies in naher Zukunft zu schaffen sein wird. 

Österreichs Technologiepolitik sollte daher nicht darauf ausgerichtet werden, den derzeitigen Rückstand bei Forschung und Entwicklung aufzuholen. Vielmehr wäre unser Land auf die künftigen Entwicklungen vorzubereiten, wären die vielfältigen Chancen in einer fremdbestimmten Hyperstruktur zu suchen.  

Diese Chancen liegen vor allem darin, durch intelligente und vor allem beschleunigte Nutzung sämtlicher Möglichkeiten der Informationsgesellschaft international präsenter, beweglicher und damit konkurrenzfähiger zu werden. 

Das Internet steht als Chiffre für die neue Dimension und Qualität dieser Informationsgesellschaft. In ihr ist die Verfügbarkeit von Wissen noch gleichzeitiger und globaler als im Fernsehzeitalter. Und die Prognostiker überbieten sich in ihren Zukunftsvisionen. Gemäß der Zeitschrift Economist waren 1996 weltweit 55 Millionen Benutzer an das Netz angeschlossen, bis zum Jahre 2000 sollen es 150 Millionen sein. Andere Hochrechnungen kommen auf bis zu einer Milliarde Menschen, die in den kommenden Jahren Zugang zum Netz haben werden. Diese Zahlen wecken Phantasien, Ängste und Hoffnungen. Eine Tagung der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung zum Thema "Informationsgesellschaft - von der organisierten Geborgenheit zur unerwarteten Selbständigkeit?" hat dies unlängst dokumentiert und gezeigt, wie sich in diesem Gemisch aus Faszination und Unsicherheit traditionelle Grenzen verwischen: Die Optimisten sehen ein neues Zeitalter anbrechen und heben das gewaltige ökonomische und soziale Potential hervor. Die Pessimisten wiederum machen sich Sorgen wegen der Endsolidarisierung der Gesellschaft. Die Realisten wiederum weisen darauf hin, daß jede Technologie weder gut noch schlecht sei und es darauf ankomme, was der Anwender aus ihr mache.

Keine der drei Gruppen bestreitet jedoch, daß das Internet grundlegende Veränderungen bringen wird - vielleicht keine Revolution, sicher aber eine Evolution. 

In einer Zeit, in der die US-Regierung bereits überlegt, das Internet zur Freihandelszone zu machen, "blickt Europa skeptisch auf die neuen Informationsnetze", wie erst jüngst in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen war. Und während hierzulande in schulischen Modellversuchen erste Erfahrungen gesammelt werden, wird unser östlicher Nachbar Ungarn bereits im kommenden Sommer fast 1.200 Schulen an das Internet angeschlossen haben und über rund 8.000 technisch und didaktische geschulte Lehrer verfügen. 

Offensichtlich haben wir in der Technologiepolitik kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Und leisten uns den Luxus so zu tun, als hätten wir für die dringend notwendigen Innovationen jede Menge Zeit. Das freilich ist ein fataler Irrtum. 

Effiziente Technologiepolitik muß in erster Linie die Rahmenbedingungen für eine rasche Diffusion der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien in alle Bereiche der Wirtschaft, aber auch des öffentlichen Sektors sicherstellen. Das reicht vom drastischen Absenken der Telefongebühren bis hin zur Integration neuer Techniken in den Dienstleistungsbereich. Vor allem aber muß effiziente Technologiepolitik das aktive Suchen nach Nischen bei der Entwicklung innovativer Brainware unterstützen und fördern. Dabei ist eine Konzentration auf einige wenige Kernbereiche anzustreben. 

Ein solcher Schwerpunkt ist die Kulturwirtschaft - vor allem die Bereiche Film, Neue Medien und Design. Hier verfügt Österreich neben seiner Tradition über ein beachtlich großes Potential an Kreativität und personellen Ressourcen. Aber wo in Österreich sind die international renommierten Design-Büros, die Filmstudios mit zeitgemäßen Produktionseinrichtungen, die Labors für content creation zur Entwicklung von Software für Kultur, Information und Unterhaltung? Wo sind die international attraktiven Ausbildungsstätten, in denen die Bill Gates von morgen heranwachsen? 

Die Chancen für eine richtig fokussierte Technologieoffensive sind in diesen Sektoren so groß, weil damit jene begehrten kapitalintensiven und wissensintensiven Arbeitsplätze entstehen, die nicht beliebig ins Ausland verlagert werden oder in Billiglohnländer abwandern. Weil damit jenes kreative Klima entsteht, welches heute für Standortentscheidungen internationaler Unternehmen bereits ebenso wichtig ist wie die Verkehrsinfrastruktur oder die Lohn-Nebenkosten. 

Weltweit konkurrieren Staaten und Staaten-Gemeinschaften um das beste, was Unternehmen zu bieten haben: Finanz- und Steuerkraft; Arbeitskräfte; technologischen Fortschritt; das visionäre, zielgerechte Vorgehen mit Ausstrahlung auf die Volkswirtschaft. Dies alles, was den Wohlstand der Nationen ausmacht, gibt es freilich nicht zum Nulltarif. Wettbewerbsorientiert handelnde Staaten haben längst erkannt, daß hier Marketing zentral gefordert ist. Doch was weiß das Top-Management unseres Staates davon? Die Performance ist schlecht, der weltweite Marktauftritt erreicht nur Mittelmaß. Die "Marke Austria" verliert an Glanz. 

Wie aber lauten die neuen Spielregeln? Was müssen Unternehmen und Beschäftigte tun, um sich auf "die neue Zeit" einzustellen? 

Sie müssen vor allem einen grundlegenden Paradigmenwechsel akzeptieren, meinen die Unternehmensberater von Arthur D. Little in ihrer Studie "Innovation und Arbeit für das Informationszeitalter": Die Information wird zur bestimmenden Ressource. Die Technologie generiert den entscheidenden neuen Produktionsfaktor der digitalen Ära - das vernetzte Wissen. Es gesellt sich zu den klassischen Faktoren der Industriegesellschaft - Boden, Kapital und Arbeit. Zwar spielten Know-how und technischer Fortschritt immer schon eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft. Doch jetzt wird dies zum alles dominierenden Machtfaktor, zum einzigen tatsächlichen Wettbewerbsvorteil. 

"Die Fähigkeit zur Innovation entscheidet über unser Schicksal", erinnerte der deutsche Bundespräsident Roman Herzog sein Land in der berühmt gewordenen Standpauke im Mai dieses Jahres. Diese Innovationsfähigkeit beginnt mit der Bereitschaft zur Veränderung. Mit der Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen. Die kühnsten Gedanken und die innovativsten Konzepte nützen wenig, wenn die intellektuelle und mentale Verfassung einer Gesellschaft ihre Umsetzung verhindert oder auch nur verzögert. 

Österreich-Kenner spotten, daß der Microsoft-Chef Bill Gates oder der Apple-Mitbegründer Steve Jobs in Österreich niemals reüssiert hätten, weil sie bereits im Anfangsstadium an der Gewerbeordnung gescheitert wären. Geben wir daher Talenten wir Bill Gates oder Steve Jobs endlich eine Chance - auch hierzulande.   

Der Standard, 10/97- Dr. Gerhard Feltl ist Geschäftsführer des Kommunikationskonzerns IWG-Holding, Präsident desÖsterreichischen Instituts für Formgebung (ÖIF) sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg.