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Maßnahmen zur besseren EU-Kommunikation

Gerhard Feltl

Am 12. Juni 1994 hat die österreichische Bevölkerung mit einer Zweidrittel-Mehrheit für den Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union votiert. Anfang September 1995 wird in einem regierungsamtlichen Bulletin ein aufschlußreiches Eingeständnis nachgeliefert: "Heute, mehr als ein Jahr später, sieht die österreichische Bundesregierung die Notwendigkeit, der Bevölkerung die Rolle unseres Landes als AEU-Mitglied umfassend zu kommunizieren. Im Hinblick auf bevorstehende Ereignisse im Zusammenhang mit der EU wie Regierungskonferenz '96, Wahlen zum Europaparlament '96 und österreichische EU-Präsidentschaft '98 ist es wichtig, die Bedeutung der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union zu vermitteln und das Interesse am Gemeinsamen zu erhöhen". 

Dieser Satz ist den offiziellen Briefing-Unterlagen entnommen, die vor wenigen Wochen jenen drei Agenturen ausgehändigt wurden, die ihre Gedanken zur werblichen Unterstützung der Bundesregierung in Sachen EU präsentieren durften. Ausgelöst wurde diese Informationsbereitschaft durch "ein starkes Sinken des Interesses an der Thematik sowie Veränderungen in der Einstellung zur EU". 

Tatsächlich ist die Situation wesentlich dramatischer, als man aus diesen "gutturalen Bücklingen" (Herzmanovsky-Orlando) ableiten könnte. Die Fakten: nach einer Untersuchung des Market-Instituts aus August 1995 findet es heute nur mehr jeder vierte Österreicher gut, daß wir der EU beigetreten sind. Mit anderen Worten: Eine Zweidrittel-Mehrheit ist innerhalb eines Jahres zur Viertel-Minderheit geschrumpft. 

Andere Studien zeigen dieselbe Tendenz: Gallup hat im Mai 1995 erhoben, daß 57 % der Österreicher im EU-Beitritt keinen persönlichen Vorteil mehr erblicken. Und eine IMAS-Studie aus demselben Zeitraum belegt, daß bereits die Mehrheit der Österreicher dazu neigt, sich als EU-Verlierer zu fühlen. 

Wohin diese Entwicklung führen kann, zeigt uns das Beispiel Schweden: Dort haben die soeben stattgefundenen Wahlen zum Europaparlament das Land "mit dem Rücken zu Europa" gedreht, wie der Standard treffend getitelt hat. Verglichen mit den Reichstagswahlen 1994 hat sich die Stimmung nach nur neun Monaten EU-Mitgliedschaft um fast 20 % zugunsten der EU-feindlichen Parteien verlagert. 

Was ist geschehen? Die demoskopisch vielfach belegbare Krise in der Haltung der Österreicher zur Mitgliedschaft in der EU kommt weder überraschend, noch ist sie auf externe Faktoren zurückzuführen. Sie ist vielmehr "hausgemacht". Denn wenn unter Kommunikation der Dialog mit dem betroffenen Bürger verstanden wird, also eine redliche Auseinandersetzung über positive und negative Folgen des Beitrittes Österreichs zur Europäischen Union, dann läßt sich die Frage nach der Kommunikation in Sachen Europa leicht beantworten: sie hat nicht stattgefunden. 

"Vergebliche Suche nach dem EU-Effekt", so fassen die Medien in ihren Kommentaren die Stimmungslage der überwiegenden Mehrheit der Österreicher zusammen. Erwartungen sind ausgeblieben, Hoffnungen haben sich nicht - oder noch nicht - erfüllt. Der Gang nach Europa scheint schwieriger zu werden, als man uns versprochen hatte. 

Obwohl hypothetische Fragestellungen nicht überbewertet werden sollen, ist dennoch beachtlich, daß heute laut aktueller Umfragen die Zahl der EU-Enttäuschten überwiegt. Für problematischer halte ich allerdings, daß darin nach Ansicht der Befragten "ein sehr großes Problem für die Regierung" sowie für alle jene gesehen wird, die diese Entscheidung so vehement unterstützt haben. (Ein Aspekt, den die Sozialpartner insgesamt, aber auch die Wirtschaftskammer - nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehende Urabstimmung - im Auge behalten sollte). 

Wie so oft, beginnt hierzulande das Nachdenken über eine möglicherweise verpaßte Chance erst nach dem Katzenjammer. Darüber kann man sich - je nach Gemütsverfassung - ärgern oder wundern. Oder man kann versuchen, die Ursachen dafür zu ergründen,  um entsprechende Fehler in Zukunft zu vermeiden. Ich will in konzentrierter Form Letzteres versuchen, ohne dabei in die uns Österreichern so vertraute Larmoyanz zu verfallen. 

Die Gründe für die zunehmende Euro-Skepsis liegen auf der Hand: es wurde im Zuge der regierungsamtlichen EU-Werbung mehr versprochen, als man halten konnte. Aus Angst vor einem möglichen Nein wurden evidente Nachteile verschwiegen - es wurde aber auch nicht kommuniziert, daß vermeintliche Vorteile einer EU-Mitgliedschaft bereits mit dem Beitritt zum EWR gegeben waren. Damit wurde ein Meinungsklima geschaffen, in dem beim Bürger die Hoffnung auf kurzfristig lukrierbare wirtschaftliche Vorteile genährt wurde. 

Ich will an meiner Position zur Europäischen Union keinen Zweifel lassen: Österreich gehört zu Europa, zum Beitritt gab und gibt es keine Alternative. Wir brauchen mehr Wettbewerb, mehr Offenheit und mehr Kontakte mit anderen Denk- und Lebensweisen.  

Politisch war der Ausgang der EU-Abstimmung daher zweifellos ein erfolgreicher Schritt in die Zukunft. Kommunikationsstrategisch war es aber ein Pyrrhus-Sieg. Denn die Probleme, denen wir uns heute gegenüber sehen, haben ihre Ursache zu einem guten Teil darin, daß das EU-Votum mit einer Propaganda-Strategie erreicht wurde, die auf Überreden statt auf Überzeugen angelegt war und die sich zum Teil fragwürdiger Argumente bediente.
So wurde - um nur ein Beispiel anzuführen, - in einer offiziellen Broschüre des Wirtschaftsministeriums für den EU-Beitritt mit dem Hinweis geworben, erst dann wäre "das grenzenlose Einkaufsvergnügen in München oder Italien möglich, ohne die unangenehme Angst im Nacken, wenn man sich dem Grenzbalken nähert". Jetzt beklagt man, daß der Kaufkraftabfluß ins Ausland Arbeitsplätze gefährdet. 

Mein Kollege Eugen Semrau hat in der Zeitschrift Wiener bereits im Juli 1994 vorausgesagt: "Der Euro-Pfeiler, von den Großkoalitionären zur eigenen Abstützung errichtet, könnte sich schon bald als brüchig erweisen". Und er stellte damals vier Fragen, die seiner Ansicht nach in der EU-Kampagne der Bundesregierung nicht genügend behandelt wurden: 

     Wurde ausreichend und redlich über die Schattenseiten des EU-Beitrittes informiert?

     Werden die notwendigen Anpassungsprozesse nicht schmerzhafter sein, als man zugeben will?

     Wo sind die Ansätze einer gemeinsamen Politik der EU, an denen wir zu unserem Vorteil mitwirken können?

     Heißt Mitbestimmung nicht auch, daß wir unangenehme Entscheidungen mittragen müssen? 

Diese Fragen wurden bis heute nicht ausreichend beantwortet. Wer in Österreich weiß beispielsweise, was es für unser Land bedeutet, "Nettozahler" in der EU zu sein? Ist uns bewußt, daß etwa 80 % des EU-Budgets für die bäuerliche Bevölkerung Europas ausgegeben werden - die rund 6 % ausmacht? 

Es darf auch gefragt werden, wie vor diesem Hintergrund das Faktum zu bewerten ist, daß in Norwegen trotz einem "Nein zur EU" derzeit ein beispielloser Wirtschaftsboom herrscht, mit einem Investitionszuwachs von über 15 %, wodurch Norwegen seine Auslandsschulden diesen Sommer bis auf die letzte Krone zurückzahlen konnte. 

Wenn Mariusz Demner, einer der Proponenten der Pro-EU-Kampagne, ein "Kommunikationsvakuum ortet, das für das Land nicht gut sein kann", so hat er zweifellos recht. Gleichzeitig demonstriert dieser Vergleich ein fundamentales Mißverständnis. Denn das von Demner beklagte Kommunikationsvakuum - so meine These - wurde maßgeblich erst durch seine eigene Kampagne erzeugt. Weil zum Teil falsche, zum Teil überzogene Erwartungen aufgebaut wurden. Weil nicht kommuniziert, sondern ausschließlich geworben wurde. 

Derartige Strategien bringen bestenfalls kurzfristige Erfolge - das ist in jedem Lehrbuch über Public Relations nachzulesen. 

Aus der Kommunikationsforschung kennen wir das Phänomen der "kognitiven Dissonanz", die darin besteht, Diskrepanzen zwischen einer subjektiv getroffenen Entscheidung und dem tatsächlichen oder auch nur scheinbaren Votum der Mehrheit auflösen zu müssen. Die Erkenntnisse der Meinungsforschung belegen, daß vor allem jene über die Richtigkeit ihrer EU-Entscheidung verunsichert sind, die nicht aus voller Überzeugung für den Beitritt gestimmt hatten.  

Zwei Fakten dazu, die in der allgemeinen Euphorie nach dem 12. Juni 1994 übersehen wurden: Eine knapp vor dem Votum durchgeführte Studie hat signalisiert, daß die bevorstehende Wahlentscheidung eher von Gefühlen als von Überzeugungen bestimmt werden würde. Und unmittelbar nach der Abstimmung hat das Fessel-Institut festgestellt, daß die generell besser gebildeten (und daher weniger Autoritätsgläubigen) jüngeren Bürger nur zu 55 % pro EU gestimmt hatten. Beides sind Befunde dafür, daß das EU-Votum nicht nur eine rationale, sondern vor allem eine emotionale Entscheidung war. 

Die Geschichte bestraft bekanntlich nicht nur diejenigen, die zu spät kommen, sondern auch die Säumigen und die Fahrlässigen. Der Ausgang der Nationalratswahl am 9. Oktober 1994 war eine erste Bestätigung dieser These. Weitere Bestätigungen werden folgen. 

Jacques Santer, der Präsident der Europäischen Kommission, hat erkannt, daß Wohl und Wehe der Union aufs Engste mit der Zustimmung der Unionsbürger verknüpft ist: "Nach innen wie nach außen, in der Übertragung von Kompetenzen wie in der Weiterentwicklung der Institutionen, steht die Europapolitik vor einem für sie neuen elementaren Begründungsbedarf. Über Jahrzehnte wurden die Grundlagen und Entscheidungen der europäischen Integration von breiter Zustimmung getragen. Heute gerät jeder Teilschritt unter den Zwang, skeptisch gestimmt Öffentlichkeiten zu überzeugen, für die die Erfolge der Vergangenheit längst zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden sind". 

Ich habe meine Zweifel, ob wir in Österreich unsere Lektion gelernt haben. Denn zumindest post festum hätten es die Regierungsverantwortlichen besser wissen und vor allem besser machen können. Die von der politischen Elite dieses Landes demonstrierte Unfähigkeit, einander zuzuhören und die Argumente des jeweils anderen ernstzunehmen, ist bestürzend. Gleichzeitig ist sie das stärkste Argument für meine Behauptung, daß eine EU-Kommunikation bislang nicht stattgefunden hat und daß bislang verabsäumt wurde, eine rationale Basis gemeinsam vertretener Argumente und Einschätzungen herzustellen. Man muß dabei gar nicht so weit gehen wie Professor Jagschitz, der der Regierung "mangelhafte politische Kultur, Mißachtung demokratischer Grundregeln und Unfähigkeit zum Dialog mit den Bürgern" attestiert. 

Zweifellos war es ein fundamentaler Fehler, in dieser Frage weder in der Werbekampagne vor der EU-Abstimmung noch in der Zeit danach den ernsthaften Dialog mit der Bevölkerung zu suchen. Spät - und viele meinen: alibihaft - versucht die Bundesregierung nunmehr eine Kurskorrektur.  

In der Wiener Zeitung wurde ein Auftrag zur werblichen Unterstützung der Kommunikationsarbeit der Regierung in Sachen EU ausgeschrieben. Dem Vernehmen nach haben sich 16 Agenturen um diesen Auftrag beworben. Drei davon (Demner, Merlicek & Bergmann; Gray Austria sowie die deutsche Top-Agentur Von Mannstein) wurden eingeladen, am 20. September ihre Vorstellungen zu präsentieren.

In der Werbebranche hat diese Vorgangsweise für berechtigte Aufregung gesorgt: Wegen der knappen Fristsetzung zwischen Ausschreibung, Briefing und Präsentation. Wegen der eher skurrilen Auslobung im Amtsblatt der Wiener Zeitung. Weil die Ausschreibung auf jene Agentur maßgeschneidert zu sein scheint, die schon bisher für die EU-Anliegen der Bundesregierung tätig war. Der Rechtsberater der Bundesregierung, Alois Schittengruber, beteuerte hingegen die EU-Konformität der Ausschreibung "gemäß der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge". 

Ob die gewählte Vorgangsweise nicht nur formal korrekt, sondern auch intellektuell redlich und vor allem zielführend war, wird die Zukunft weisen. Vizekanzler Wolfgang Schüssel hat mittlerweile jedenfalls gefordert, daß sich die "schweren Fehler in der Kommunikationsarbeit" nicht mehr wiederholen dürfen. 

Den offiziellen Briefing-Unterlagen zufolge ist es der Bundesregierung vor allem ein Anliegen, das Europagefühl zu verbessern. Und zu kommunizieren, daß "Europa uns alle angehen muß". Konkrete inhaltliche Ziele und die Argumentationslinien der regierungsamtlichen Informationsarbeit, welche durch die Werbetätigkeit ja nur begleitet werden soll, bleiben allerdings weiterhin ungeklärt.  

Ich möchte daher im Rahmen dieser Veranstaltung einige Überlegungen für ein derartiges Konzept formulieren: 

Selbstverständlich hat sich die strategische Ausgangssituation seit dem 12. Juni 1994 grundlegend verändert. Ging es vor dem EU-Votum darum, das Abstimmungsverhalten positiv zu beeinflussen, so geht es heute darum, die getroffene Entscheidung nachträglich zu begründen und zu rechtfertigen. Der EU-Beitritt ist ein Faktum. Aber die Akzeptanz des Beitrittes ist nicht gegeben - sie muß durch Kommunikationsarbeit herbeigeführt werden, was werbestrategisch eine völlig neue Aufgabenstellung bedeutet. 

Wie jede andere Kommunikationsarbeit auch, ist die EU-Kommunikation vor allem als kulturelle Aufgabe zu verstehen: Es geht um das Verändern von Einstellungen, aber auch um das Beeinflussen objektiver Bedingungen. Es geht nicht um einfache Lösungen, sondern um das Aufzeigen von Chancen - aber auch um das Sichtbarmachen von Haltung und Lebensweise, Besonderheit und Identität auf der großen Bühne des sich neu formierenden Kontinents. 

Natürlich geht es auch darum, durch Kommunikationsarbeit das "Produkt Europa" selbst mitzugestalten. Dabei sehe ich drei große Ziele: 

1.  Die Mehrheit der Österreicher davon zu überzeugen, daß ihre Entscheidung vom 12. Juni 1994 nicht nur im nationalen Interesse, sondern auch in ihrem ureigensten Interesse vorteilhaft und richtig war.

2.  Eine redliche Auseinandersetzung auch über die Nachteile zu führen, die der EU-Beitritt mit sich bringt, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen. 

3.  Eine positive Vision von der zukünftigen Rolle Österreichs in einem vereinten Europa zu kommunizieren. 

Um diese Kommunikationsziele zu erreichen, ist es notwendig, Dissonanz-Reduktion zu betreiben und Überzeugungsarbeit zu leisten. Was bedeutet, daß auch kontroversielle Themen ausdiskutiert werden müssen, will die Regierung aus der Defensiv-Position des Roßtäuschers und Rattenfängers wegkommen, der halt "ein bißchen geschwindelt hat" - wie es die neue Arbeiterkammerpräsidentin Lore Hostasch jüngst unverblümt ausgedrückt hat. 

Der Dialog über Europa muß aber nicht nur im Inland geführt werden, er muß auch mit Europa selbst geführt werden. Die Darstellung Österreichs in Europa ist ebenso wichtig wie die Darstellung Europas in Österreich. 

Auch dies muß Bestandteil des neuen Kommunikations-Konzeptes sein. Republiks-Inventuren und Millenniumsfeiern sind dafür kein Ersatz. Was wir brauchen, ist eine umfassende Diskussion über die Vision Europa und über Österreichs Positionierung in diesem zusammenwachsenden Kontinent.  

Wir müssen uns klar darüber werden, welche Rolle Österreich in diesem neuen Europa spielen kann: Feinkostladen oder Kulturmaschine? Politischer Innovator oder Minimundus? Und wie bringen wir uns ein in diese Gesellschaft - aktiv und mit vollem Risiko, oder als Trittbrettfahrer? 

Auch dieser zentrale Aspekt - mit einer Art Corporate Identity der "Firma Österreich" vergleichbar - ist bis heute vernachlässigt worden. 

Ich will die Problematik der mangelnden Positionierung an zwei Aspekten deutlich machen: Die Angst, in bewaffnete Konflikte einbezogen zu werden, ist nach den Erfahrungen der jüngsten Geschichte verständlich. Daher ist für viele Österreicher die Neutralität ein Tabu-Thema. Andererseits ist es einem Franzosen, Italiener oder Belgier schwer verständlich zu machen, warum er im Falle einer militärischen Auseinandersetzung (wie derzeit in Bosnien) seinen Kopf hinhalten soll, während wir Österreicher mit Berufung auf unsere Neutralität nur die Vorteile eines gemeinsamen Sicherheitssystemes genießen wollen. 

Die jüngst regierungsamtlich geäußerte Bereitschaft, in Zukunft logistische Unterstützung, aber keine Truppen bereit zu stellen, enthebt uns nur vordergründig der Aufgabe, im Grundsätzlichen Stellung zu nehmen. Und wird in der Konsequenz wohl bedeuten, daß voller Schutz nur mit Bereitschaft zu vollem Risiko zu haben sein wird.  

Ein anderes Beispiel ist Österreichs Haltung zu Osteuropa: Aus der Geschichte und aus unserer geographischen Lage heraus ergibt sich eine besondere Verantwortung für die Heranführung dieser Länder an die westlich-europäische Staatengemeinschaft. Das scheint unserer Tradition zu entsprechen und auch den Erwartungen, welche die EU gegenüber Österreich hat. Andererseits bedeuten "mehr Mitgliedstaaten" auch "mehr Probleme" und ein geringeres Tempo im Fortschreiten der Integration - also eventuelle Nachteile für Österreich. Gerfried Sperl hat dies in einem Kommentar auf den Punkt gebracht: Österreich kann in dieser Frage schwerlich für beides stehen - für rasche Mitgliederausweitung und gleichzeitig rasches strukturelles Zusammenwachsen der EU. Natürlich lassen sich solche Fragen nicht von heute auf morgen beantworten. Ihre Behandlung erfordert einen kontinuierlichen und intensiven Dialog mit dem Bürger - die Bereitschaft zur Korrektur von Vorurteilen eingeschlossen.  

Wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl einmal bemerkt hat, ist der Beitritt zur Europäischen Union kein Hundert-Meter-Lauf, sondern ein Marathon. Also eine langfristige und eine umfassende Aufgabe, die ein langfristiges und integratives Kommunikations-Konzept erfordert, in das die Tourismuswerbung ebenso eingebunden sein müßte wie die Konzeption kultureller Auftritte im Ausland. Das Werben um den Wirtschaftsstandort Österreich ebenso wie die Strategien zur Vermarktung der Städte. Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht die große Bedeutung österreichischen Kulturschaffens - Literatur, Musik und Malerei, Film und Fernsehen, Design und Architektur. Dies alles steht im Ausland für Österreich. 

Ich habe mit meinen Ausführungen versucht, einige Gedanken zur künftigen Kommunikationsarbeit in Sachen Europa zu formulieren. Eine entscheidende Schwäche der bisherigen Kommunikationsarbeit in Sachen Europa scheint mir auch darin zu liegen, daß im Inland zuviel über die EU und zuwenig über die Vision Europa zu hören und zu lesen ist. Daß im Ausland dagegen mit Pathos geübte Rituale des Austro-Masochismus das Bild beherrschen - und zuwenig über Österreichs zukünftige Position in der Staatengemeinschaft kommuniziert wird. 

In einem zeitgenössischen Roman heißt es: "Wer nur zurückblickt, den fressen die Gespenster". Wir sollten schon aus diesem Grund nach vorne blicken. 

Der französische Historiker Jacques Le Goff sagt in seinem Buch "Das alte Europa und die Welt der Moderne": Europa braucht Größe, um sich gegen die USA oder Japan behaupten zu können. Und Differenziertheit, um von den Vorzügen der Kleinheit profitieren zu können. 

Beides zusammen zu leisten, ist die Aufgabe, der wir uns zu stellen haben. 

Kommunikationsarbeit für Europa muß beide Ziele - das Integrative und Zusammenwachsende ebenso wie das Differenzierte und Unterscheidende - gleichzeitig in den Köpfen und Herzen der Österreicher verankern. Sie wird dann erfolgreich sein, wenn diese Ziele nicht mehr als Widerspruch empfunden werden, sondern dieser Zusammenhang erkannt und kreativ umgesetzt wird.  

ÖWB - Mitarbeiterkonferenz '95 - Dr. Gerhard Feltl  ist Geschäftsführer der IWG-Holding, Präsident des Österreichischen Instituts für Formgebung (ÖIF) sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg