Themen > Kommunikation > Marketing 2000 - Benefit-Denken statt Profit-Streben

Gerhard Feltl

An der Schwelle des neuen Jahrtausends wird sich Marketing vom traditionellen Marktdenken verabschieden und an neuen "customer values" orientieren müssen.

Der Blick in die Kristallkugel künftigen Marketingverhaltens zeigt, daß die Menschen in Zukunft gleichzeitig verschiedenen Konsumwelten angehören und Anspruchslosigkeit in manchen Bereichen mit verschwenderischem High-Class-Konsum auf anderen Gebieten verbinden werden. In diesem Zusammenhang tritt das ein, was Oscar Wilde weitsichtig "self-culture" nannte - nämlich das Genießen des Konsumierens an sich: nicht mehr das Produkt, seine Qualität oder Funktionalität steht im Vordergrund, sondern das gleichsam rituelle Erleben der Konsumhandlung. Die Zukunft gehört demnach Produkten mit "Inszenierungswert", um einen Begriff von Gotthard Böhme zu verwenden.

Diese Doppel- oder sogar Mehrfachcodierung des Konsums bedeutet freilich auch das Ende der Märkte im klassischen Sinn. Im Magazin Der Spiegel schreibt Claudius Seidl: "Kunden, Käufer und Märkte haben die Tendenz, sich aufzulösen und zu verschwinden. Darin gleichen sie den Gespenstern vormoderner Zeiten. Deshalb dienen Sitzungen und Konferenzen der Marketingmanager auch einer großen gemeinsamen Illusion, die heute die Existenz der Welt, des eigenen Produktes und seines Marktes bestätigt". 

Für die Kommunikationsbranche werden diese Entwicklungen weitreichende Auswirkungen haben. Einerseits halten die gängigen Instrumente den Turbulenzen der Märkte immer weniger stand. Auf der anderen Seite sind bessere Marketing- und Werbemethoden noch nicht in Sicht. Trend-Guru Gerd Gerken verkündet bereits das Ende der traditionellen Werbung: "Ihr Spiel der Manipulation und der Persuasion, der Überredung, ist am Ende". Eine unsichere Zeit also, aber auch eine Zeit der enormen neuen Chancen.

Ein Lösungsansatz könnte freilich darin bestehen, daß Marketing zunächst einmal versucht, Konzepte anzubieten, die in der gegenwärtigen "Rezessionskultur" die Stimmung aufhellen und es dem Verbraucher ermöglichen, "im System" zu bleiben.

Das ist natürlich leichter formuliert, als getan. Ein intelligentes Buch zu diesem Thema ist vergangenes Jahr unter dem Titel "Kult-Marketing" erschienen. Darin vertreten die beiden Autoren Norbert Bolz und David Bosshart die These, daß in Zeiten der gesättigten Märkte und der qualitativ identen Produkte Kundennähe nur mehr durch Aufladen der Produkte mit Appeal zu erreichen ist. 

So wird der Aufbau einer kultischen Beziehung des Konsumenten zu den von ihm begehrten Produkten zum Marketingziel der Zukunft. Auf diese Weise kann als Reaktion auf die Ununterscheidbarkeit der Produkte - durch das Stimulieren unterschiedlicher Begehrlichkeiten - eine qualitative Differenzierung der Märkte geschaffen werden. 

Angesichts der skizzierten Multifunktionalität von Konsum (was gleichzeitig dazu führt, daß konventionelle Marketingkonzepte obsolet werden) ist die Herausbildung eines symbolic value allerdings eine unzureichende Lösung. Denn der emanzipierte Konsument von morgen würde das einfühlsame Eingehen auf seine differenzierten Bedürfnisse in der Konsum-Inszenierung sehr rasch als Werbetrick entlarven. 

Wals also not tut, ist das Eingehen auf die Bedürfnisse der neuen Generation von Konsumenten, welche sich nicht mehr als Verbraucher, sondern vielmehr als Partner verstehen. Es genügt auch nicht mehr, den Konsumenten "ernst zu nehmen". Man wird ihn vielmehr am Marketingprozeß selbst aktiv beteiligen müssen. Der bereits zitierte Gerd Gerken schlägt als Lösung vor, die seit den Sechziger-Jahren geltenden Kommunikationskonzepte zu Gunsten einer gemeinsamen und mit dem Konsumenten erfolgenden "Konsum-Codierung" auszutauschen. 

Denn Partner haben andere Ansprüche als Verbraucher - auch wenn ihre Konsumentenfunktion weitgehend unverändert bleibt. Vor allem geht es ihnen um einen klar definierten und unmittelbar erlebbaren Benefit. Und das ist etwas, das weder mit Preis noch mit Qualität oder Funktionalität zusammenhängt, sondern mit Appeal, mit der kommunikativ hergestellten Aura eines Produktes. Das Publikum an diesem Vermittlungsprozeß und an ihrem Entstehen mitwirken zu lassen, wird die Herausforderung für die Kreativen in den kommenden Jahren sein. 

Im Selbstverständnis heutiger Marketing-Manager hat diese Trendwende noch wenig sichtbare Spuren hinterlassen. Wie Befragungen zeigen, werden fast ausschließlich neue Produktideen, mehr Kreativität und vor allem mehr und effizientere Mittelkontrolle gesucht. Unternehmens-Philosophien oder Kommunikationslinien (also "benefit-orientierte" Strategien") werden kaum angesprochen. Dies vergrößert die Gefahr, den Konsumenten und sein künftiges Konsumverhalten aus dem werblichen Periskop zu verlieren. 

Wie rasch diese Marktveränderung stattfinden kann, beschreibt der amerikanische Marketing-Experte Al Ries in seinem jüngsten Buch "Die Strategie der Stärke" am Beispiel der Videospiele: Atari war in dieser Wachstumsbranche unbestrittener Marktführer, bis das Unternehmen versuchte, in den Personal-Computer-Markt einzusteigen. Damit wollte Atari gegenüber dem Mitbewerber Nintendo verlorenes Terrain aufholen, denn Nintendo hatte mit einem Produkt der nächsten Generation und einem entsprechenden Marketingkonzept mittlerweile den Markt der Videospiele dominiert. Dann allerdings brachte Sega sein 16-Bit-System auf den Markt - und übernahm damit die Marktführung mit dem Appeal eines Next-Generation-Konzeptes. 

Und heute wartet bereits Sonys PlayStation mit einer 32-Bit-Technik und einem CD-ROM-Laufwerk auf seine Marktchance. Und dieser Erneuerungsprozeß wird sich ständig wiederholen. 

Die Veränderungen auf dem Markt der Videospiele zeigt sehr anschaulich, daß sich Marktführerschaft in einer Branche nicht mehr über eine Strategie des "besser und billiger" erreichen läßt. Entscheidend ist die Aura des Produktes und der richtige Appeal für den Konsumenten. Und dieser Konsument ändert sehr rasch sein Konsumverhalten. Erfolgreiche Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung mit klarer Fokussierung, das heißt bewußter Beschränkung auf traditionelle Werte und Konsumgewohnheiten im Rahmen einer "binären Codierung" (entweder/oder), denn der "Marketing-Zug" fährt nur in eine Richtung. 

Die Erarbeitung von Strategien für tatsächlich erlebbaren Consumer-Benefit wird daher das Marketingdenken in Zukunft bestimmen - will man nicht gegenüber den raschen soziologischen, ökonomischen und technologischen Veränderungen ins Hintertreffen geraten. Transformationen sind angesagt, Bewußtseinsänderungen sind gefordert,  strukturelle Änderungen sind unverzichtbar. Denn die Marketing-Siege von gestern sind kein Kapital für die Zukunft. 

05/98 - Dr. Gerhard Feltl ist Geschäftsführer des Kommunikationskonzerns IWG-Holding, Vizepräsident der Wiener Festwochen sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg