Themen > Wahlwerbung > Im Netz des Cyberspider - Wahlwerbung im Informationszeitalter

Gerhard Feltl

Seitdem es demokratisch legitimiertes Werben um Wählerstimmen gibt, ist die Frage unbeantwortet, ob und in welchem Ausmaß politische Werbung das Wahlergebnis beeinflussen kann. Auch diesmal wurden Erklärungsversuche angeboten, ohne zu einer schlüssigen Beurteilung zu kommen. Die Kommunikationsforschung geht jedenfalls davon aus, daß durch Kampagnen nur wenige Prozente an Wählerstimmen beeinflußt werden können. Aber in Zeiten dahinschmelzender Stammwähleranteile und zunehmender "Last-Minute"-Entscheider können auch wenige Stimmen den Ausschlag geben.  

Natürlich leben wir im Zeitalter der elektronischen Medien. Live, authentisch, ereignisnah lauten die Gebote, an denen sich auch die Präsentation der Politik zu orientieren hat. Immer herrscht Nachrichtenzeit. Die Medien sind allzeit dabei und vermitteln die Illusion einer allgegenwärtigen Präsenz. Dabei erfolgt die entscheidende Kommunikationsleistung zwischen Politikern und ihren Wählern nicht im persönlichen Kontakt, sondern "mediatisiert". Kommunikationsstrategisch würde dies eine unverzerrte Darstellung von Inhalten und Images nahelegen. Denn erst wenn der Wähler in einer Kampagne seinen Wählerwillen authentisch wiederfindet, wird die Botschaft einer Kampagne medial überhaupt wirksam und wahrgenommen.  

In einer Untersuchung des Fessel-Instituts zur Nationalratswahl '94 gaben 50 % der Wahlberechtigten an, einen oder mehrere Diskussionen am "runden Tisch" anläßlich des Wahlkampfes gesehen zu haben. Aber nur 21 % der Zuseher (somit 10 % der Wähler) meinten, daß die TV-Konfrontationen ihre Wahlentscheidung direkt beeinflußt habe.  

Die Verlagerung des Wahlkampfes in die elektronische Agora  

Dennoch wollten die Parteistrategen bei der Nationalratswahl '95 die Auseinandersetzung zwischen den Parteien zur Gänze in die elektronische Agora verlagern. Rückblickend kann man durchaus den Eindruck gewinnen, die Parteien hätten vor der Macht des Bildschirms schlichtweg kapituliert: Einmütig setzten sie auf die Telegenität ihrer Spitzenkandidaten. Die Wahlkampagnen selbst blieben stilistisch konventionell und ohne Dramaturgie. Wer nicht bereit war, sich gewissermaßen im Selbststudium zum Budget-Fachmann oder Immigrations-Experten auszubilden, blieb überfordert und auf die soundbites der Medien sowie auf optische Gefühlseindrücke angewiesen.

 "TV-Duelle entscheiden die Wahlschlacht", lautete denn auch die von Printmedien und ORF martialisch inszenierte "Adabei-Realität" dieser Nationalratswahlen. Und nach jedem "TV-Duell" und nach jeder Pressestunde wurde die jeweilige Konfrontation zum alles entscheidenden Wahlkampfelement hochstilisiert. Es waren insbesondere die Fellner-Brothers, die in ihren Publikationen mit gewohntem Marketingtalent diese Wahlbotschaft zum ORF hinaufjubelten, wobei der Küniglberg sein sorgfältig abgestimmtes Echo millionenfach ins Mediental zurückwarf.  

Die Printmedien als TV-Nachlese  

Die Problematik dieser Regiearbeit liegt auf der Hand: Dem BBC-Korrespondenten Angus Robertson waren die TV-Diskussionen schlichtwegs "zu destruktiv sowie ohne positive Perspektive für Österreich". Was Robertson mit britischen understatement formuliert, beschreibt präzise die demokratiepolitische Malaise: Wenn Wahlentscheidungen zunehmend irrational getroffen werden, haben emotional wirkende Medien wie das Fernsehen naturgemäß das größte Wirkungspotential.

Dabei wird ein circulus vitiosus in Gang gesetzt, der die anti-aufklärerische Wirkung des Bildschirmes verstärkt - wie Christoph Chorherr zu Recht festgestellt hat. Und wer dem Quotenspektakel das Prädikat "demokratiepolitisch wertvoll" verleiht (wie es der ORF nimmermüde getan hat), leugnet den Grundcharakter des eigenen Mediums. Das gilt insbesondere für die Rechtfertigungsversuche von Rudolf Nagiller, der die Konfrontationen der Parteikandidaten als "Politik direkt - ohne journalistischen Filter" darzustellen versuchte.  

Die Printmedien funktionierten in diesem Wahlkampf-Szenario kaum als Korrektiv, sondern als ORF-fixierte Nachlese. Die kritsch-konstruktive Auseinandersetzung mit den Themen dieses "Richtungsstreites" ging dabei verloren. In den Zeitungskolumnen dominierte die banale Wiedergabe von sogenannten Sinnsprüchen und Slapstick-Statements der Kandidaten. Coaching und Styling wurden en detail rapportiert, Schweißperlen wurden kommentierend verdeutlicht oder sorgfältig abgetupft.  

Zu fragen wäre, warum von den Parteistrategen jene Kommunikations-Formen reduziert wurden, die ohne "Filter-Funktion" des Journalismus direkt zu den Wählern sprechen. Denn gerade der Wahlkampf '95 hat einmal mehr gezeigt, daß Plakate als Basismedium auch in Zukunft unverzichtbar sind, weil sie flächendeckend und permanent Präsenz verschaffen. Und im Gegensatz zu den flüchtigen Impressionen des Bildschirms motivationssteuernd auf die eigenen Anhänger wirken. Aktuelle Studien (wie etwa der im Standard  wöchentlich veröffentlichte Österreich-Radar des OGM-Institutes) belegen deutlich, wie sehr Plakat-Präsenz auch Partei-Präferenz zu beeinflussen vermag.

Die fehlende Konzentration auf neue Medien

  Aber auch das im Ausland seit längerem die politische Diskussion bestimmende Thema digitaler Kommunikationsübermittlung spielte bei dieser Nationalratswahl keine Rolle - sieht man von den Kursschwankungen der politischen Parteien an einer "virtuellen Börse" ab. Die Orientierung der Politik bzw. der Parteien auf die Herausforderungen der Infociety hat hierzulande bislang nicht stattgefunden.  

Dabei hat bereits im US-Wahlkampf '92 Ross Perot sogenannte Electronic Town-Halls vorgeschlagen, in denen die Bürger digital gestützte Entscheidungen treffen sollten. Diese Idee wurde von US-Präsident Bill Clinton aufgegriffen, der in regelmäßigen Abständen und mit großem Erfolg Town-Hall-Meetings absolviert und konkrete politische Entscheidungsfindungen herbeiführt.  

In minimondialer Anleihe an die internationale Entwicklung waren in Österreich einige der Parteien zumindest im Internet vertreten. Wahlstrategisch intelligente Nutzungen der neuen Medien, mit denen journalistische Meinungsfilter wirkungsvoll überwunden werden könnten, stehen derzeit freilich noch aus.  

Somit hat auch die Nationalratswahl '95 bewiesen: Der österreichische Wähler zappelt - wie der unglückliche Eynhof bei Herzmanovsky-Orlando - im Rosennetz der Öffentlich-Rechtlichen, aber er surft nicht im Cyberspace.

Profil, 05/98 - Dr. Gerhard Feltl ist Geschäftsführer der IWG-Holding, Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg sowie Wahlkampf-Manager von Thomas Klestil für die Präsidentschaftswahlen '92.